„Schmieren statt kalkulieren“

Die Korruption gedeiht in öffentlichen Verwaltungen / Expertenkongreß beriet Gegenstrategien / Mit dabei: Forderung nach Lauschangriff  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Das Böse ist immer und überall. Besonders im öffentlichen Bauwesen. Ob illegale Preisabsprachen, klandestine Kartellbildungen oder regelmäßige Schmiergeldzahlungen – das Unrechtsbewußtsein der Beteiligten ist „erschreckend schwach“. Drei Jahre ermittelte der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner im Bereich der Korruption. Sein Resümee: „Es wird geschmiert statt kalkuliert.“

Der Mann weiß, wovon er spricht. Seit November 1993 leitet Schaupensteiner die Abteilung „Organisierte Kriminalität/Korruption“ bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Ein wenig stolz zieht er vor den Teilnehmern einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung Bilanz. Zu Recht, denn die Hessen liegen seit Jahren in der Korruptionsbekämpfung ganz vorn. 1.501 Verfahren gegen korrupte Beamte und Unternehmer wurden eingeleitet, 264 der Fälle mit Strafbefehl oder Urteil abgeschlossen. Die Missetäter wanderten bis zu sieben Jahren hinter Gitter. Die höchste Geldstrafe bisher: 360.000 Mark.

Überall, wo die öffentlichen Verwaltung Dienstleistungen erbringen, treibt die Korruption Blüten, von „A“ bis „Z“, von der Ausländerbehörde bis zur Zulassungsstelle für Kraftfahrzeuge.

Was auf der beamteten Seite, vom Segeltörn in der Karibik bis zur Stereoanlage für den Filius, zunehmend als normal betrachtet wird, wird auf der anderen Seite schlicht als „nüztliche Aufwendung“ von der Steuer abgeschrieben. „Lohnergänzung für Mehrleistungen im Amt“ hat einer der Ertappten Schaupensteiner gegenüber den illegalen Nebenerwerb genannt. Ein anderer trieb es noch weiter: Er schrieb die Zeit, die er für seine Manipulationen benötigte, als Überstunden gut.

Das „Epizentrum des bundesdeutschen Korruptionsbebens scheint zur Zeit in Hessen zu liegen“, konstatiert die Berliner Justizsenatorin Pechel-Gutzeit anläßlich der Eröffnung der internationalen Fachtagung mit dem Titel „Korruption in Deutschland“. Doch auch das Haus der Senatorin muß sich mit Korruptionsvorwürfen befassen, wenn auch im kleineren Maßstab. Unter anderem stehen in Berlin, wie in anderen Städten auch, Polizeibeamte unter Verdacht, Geld und andere Annehmlichkeiten von Bordellbetreibern für Hinweise auf bevorstehende Razzien im Rotlichtmilieu eingesteckt zu haben.

Den durch Korruption verursachten Schaden schätzt der Präsident des hessischen Rechnungshofes, Udo Müller, auf runde zehn Milliarden Mark im Jahr. Keiner der Experten stellt die Zahl ernsthaft in Frage, wohl aber das Konzept, das Müller zur Korruptionsbekämpfung in den Vordergrund rückt.

Der Rechnungsprüfer will, wie auch der hessische Datenschutzbeauftragte Winfried Hassemer, weniger Strafverschärfung, dafür mehr Prophylaxe. Etwa durch Rotation von Mitarbeitern, die mit der Vergabe öffentlicher Aufträge befaßt sind. Oder durch Einrichtung von Fachgremien, ressortübergreifend mit Mitarbeitern aus Steuerfahndung, Rechnungshof, Staatsanwaltschaft und Verwaltung besetzt. Korrektiv könnte auch sein, Ausschreibungssünder befristet vom Wettbewerbsverfahren auszuschließen.

Die Mehrheit der anwesenden Experten, vom Chef des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert, über den Berliner Staatsanwalt Fätkinhäuer bis zur Berliner Justizsenatorin Pechel-Gutzeit, setzt dagegen mehr auf Repression: auf höheres Strafmaß, ausgeweitete Strafvorschriften und Personalaufstockung. Zachert: „Gesetzeslücken wie etwa bei der Strafbarbeit des Ausschreibungsbetrugs oder Haushaltsuntreue müssen geschlossen werden.“

Hans-Jürgen Fätkinhäuer, Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität bei der Staatanwaltschaft, moniert, in Korruptionsverfahren keine verdeckte Ermittler einsetzten und den Lauschangriff nicht führen zu dürfen: „Ein weiteres Indiz dafür, daß der Staat den Schutz seines eigene Apparates nicht so sonderlich ernst nimmt.“

Wo der Strafverfolger sein Repressionsinstrument erweitert sehen will, muß der Datenschützer widersprechen. Der generelle Zugang der Bürger zu den Akten der Verwaltung, wie etwa im hessischen „Umweltinformationsgesetz“ garantiert, könnte sich seines Erachtens als „wirksames Instrument“ erweisen. Eine „öffentliche Hand, die durchsichtig ist, hat weniger Chancen für korruptive Zusammenhänge“.

Einig sind sich die Experten des zweitägigen Hearings aber in ihrer Kritik am Bonner Gesetzgeber. Verboten ist seit Anfang letzten Jahres, gegen Geld seine Stimme im Bundestag abzugeben. Jede andere Form der Zuwendung an die Abgeordneten hingegen ist gesetzlich erlaubt. Selbst wenn diese dazu dient, bestimmte Gesetze gar nicht erst zur Abstimmung kommen zu lassen.