Zuspruch und Kritik für die Türkei

■ Zollunion mit der EU gefordert / Waffenlieferungen kritisiert / NRW lehnt Verlängerung des Abschiebestopps ab

Berlin (AFP/dpa/taz) – Die Türkei müsse in europäische Strukturen eingebunden werden, forderte gestern Cem Boyner. Im Namen seiner Partei neue Demokratie (YDH) verlangte der Industrielle die Verwirklichung der Zollunion zwischen der Türkei und der Europäischen Union.

Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth habe ihm zugesichert, sie trete für den Abschluß der Zollunion ein, anschließend müsse jedoch innerhalb einer bestimmten Frist die Menschenrechtslage in der Türkei verbessert werden, sagte Boyner. Eine „Ausgrenzung“ der Türkei würde Reformen nicht fördern, sondern lediglich „den Fundamentalisten und Nationalisten helfen“. Er sprach sich für wirtschaftliche Reformen aus und forderte allgemein die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei. Auch verurteilte er die Gewalt der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die im Südosten der Türkei für einen eigenen Staat kämpft. Er räumte ein, daß es ein „Kurdenproblem“ gebe, vermied jedoch direkte Kritik an der türkischen Regierung.

Angesichts der fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen in der Türkei kritisierten die Oppositionsparteien des Bundestags die Lieferung von Militärgütern. Die PDS verlangte den sofortigen Stopp für Waffenlieferungen und die bereits erteilten Hermes-Bürgschaften. Die Grünen wollen, daß sich die OSZE im Konfliktgebiet der Südosttürkei einsetzt.

Gleichzeitig lehnte gestern der Landtag von NRW einen Antrag der Grünen ab, den bis zum 28. Februar geltenden Abschiebestopp für Kurden zu verlängern. Innenminister Herbert Schnoor (SPD) will zunächst die Entscheidung und die Begründung seines Bonner Amtskollegen Manfred Kanther (CDU) abwarten.

Kanther hatte den Abschiebestopp verfügt, nachdem sechs kurdische Abgeordnete zu drakonischen Strafen verurteilt worden waren. Sein weiteres Vorgehen über den 28. Februar hinaus will er auch von der schriftlichen Urteilsbegründung abhängig machen. Diese liegt bislang noch nicht vor.

Schnoor meinte, Kanther könne sich nach seiner bisherigen Argumentation einer Verlängerung des Abschiebestopps nicht verweigern. Erst wenn Bonn sich entschieden hat, will die Düsseldorfer Regierung sich äußern. Sollte Kanther ablehnen, werden die SPD-regierten Länder wohl auf eigene Faust einen auf weitere sechs Monate begrenzten Abschiebestopp aussprechen. Weil Kanther durch seine bisherige Zustimmung zur Aussetzung der Abschiebungen nach Auffassung von Schnoor einen „neuen Sachverhalt gesetzt“ hat, sehen die SPD-Innenminister dazu rechtlich neue Handlungsspielräume.