Nichtsnutzes Therapeutikum

■ Waidwunde Seelen, irrend und wirrend im Mittelmeer: „Un Bruit qui rend fou“ von Alain Robbe-Grillet (Wettbewerb)

Bei Kunst wird noch immer gerne an Experiment gedacht: Im Kurzfilm vor Alain Robbe-Grillets Insel-Story wurde ein lebender Sprecher auf die Bühne gesetzt, der dann lippensynchron „Eine Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege“ zum ausagierten Bild auf der Leinwand erzählte. Kleist hätte vermutlich auch solcherlei lustig verdoppelnde Übertragungen ausgehalten, so zerissen und sorgengebeutelt wie er zuletzt war.

Bei Robbe-Grillet dann allerhand in Blau Getauchtes, Fischerboote auf dem Meer, postkartenartig kurz vorm Morgengrauen fotografiert. Mitten hinein trudelt eine Tschunke, die dort gar nichts verloren hat, außer bildhaft Vages zu bedeuten. Eine monochrome Angelegenheit in Cinemascope, und noch ein bißchen darüber hinaus, vermutlich für neuere Fernseh-Kino-Formate konzipiert, 16:11. Das Ganze spielt auf einer dieser Zykladen-Inseln mit bunten Haustüren und stummen Greisen, die wie Kirchenkerzen aufgereiht Hügel und Gassen säumen. Mit einem Wort: der ideale Ort, um mancherlei Irrungen und Wirrungen der waidwunden Seele anzusiedeln, sei's als griechisch-römische Dramolette, postmoderner Freistil oder deutscher Autorenfilm. Von den Felsen hallt eine Liebes-Arie aus Richard Wagners „Fliegendem Holländer“ wider, was sich bald als Leitmotiv der ansonsten langsam ihre Kreise ziehenden Geschichte entpuppt. Man schreit und flüstert, grübelt und stirbt. Sartre zwischen Marienbad und Sparta.

Natürlich muß die Leidenschaft zunächst aber einmal schmoren, dünsten oder gären, was irgendwann verzweifelte Liebe, wenn nicht gar Mord, Totschlag und Betrug werden soll. Schließlich gilt dem Autor-Vater des Nouveau Roman (schon sein 1955 veröffentlichter Roman hieß „Der Augenzeuge“) keine Wirklichkeit als wahr, die nicht von der Zeit ausgeblichen wurde. Statt dessen werden diverse Konkubinen vorgeführt, die in einer blauen Villa asiatische Geschäftsleute bezirzen, während ein gewisser Edouard Nordmann, seines Zeichens Indochina-Flüchtling, am Tod seiner Stieftochter verzweifelt. Was er nicht bewältigt, versucht er auf ein altes Tonbandgerät zu sprechen, damit daraus einmal Filmstoff werden kann. Doch die Therapie führt zu nichts. Irgendwann erscheinen Geister in dünnen Leinenleibchen, denn zufällig hat er das Mädchen auch kindesmißbraucht. Deshalb sieht er immer wieder ihr Foto bluten. Das geht nicht lange gut, der Ouzo tut das seine, und ohne groß um ihn zu trauern, sieht man Edouard zum Schluß tot im Hafenbecken schwimmen. Die Tochter rauscht derweil mit einem amerikanischen Lover in der Tschunke von dannen, die bereits in der Eingangsszene Befremdliches bedeutete. Doch aller Schabernack ist nur Beiwerk zu den Eigenarten, mit denen Robbe-Grillet an seiner Skepsis gegenüber Schein und Sein laboriert. Die Geschichte wird gleich dutzendweise von großen Gefühlen und mieser Niedertracht überspült, ehe der schreckliche Vater final von Bord geht. Warum der Liebhaber der Tochter außer bei einem kurzen amerikanisch gemurmelten Dialog stumm als Zombie durchs Inselleben tapert, im Hurenhaus über weite Strecken bloß mit Dominosteinchen gescrabbelt oder schwülstig gesungen wird, und daß Frauen doch lieber bei Frauen liegen, bleibt ein Geheimnis, was so eine ungefähre Vorstellung davon geben mag, wie schwer es sich in der Welt des Symbolischen hausen läßt.

Die vielen Nahaufnahmen zerfurchter alter Männergesichter jedenfalls, die vor Sorgen fast blind in die Kamera blinzeln, verheißen nichts Gutes. Harald Fricke

„Un bruit qui rend fou“ (Die blaue Villa). R: Alain Robbe-Grillet / Dimitri de Clerq. B / F / CH 1994, 101 Minuten.