Mit dem neuen grünen Pfund wuchern

■ Bündnisgrüne wollen ihren Wahlerfolg in den Koalitionsverhandlungen zum Tragen bringen / Ignatz Bubis ist endlich mal wieder mit der FDP zufrieden

Wiesbaden (taz) – Die Hessenwahl war gestern gegen 19 Uhr (fast) gelaufen. Ein strahlender hessischer Wirtschaftsminister, Lothar Klemm (SPD), sagte der taz, daß die SPD ihre Wahlziele erreicht habe: „Wir sind hoffentlich stärkste Fraktion geworden – und wir können die erfolgreiche rot- grüne Koalition fortsetzen.“ Zu exzessiver Freude bestand bei der SPD allerdings kein Anlaß. Die Partei hat das zweitschlechteste Landtagswahlergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte eingefahren und verlor knapp gegenüber der CDU. Nur der ernorme Stimmenzuwachs der Bündnisgrünen hat die SPD in der Regierungsverantwortung belassen und die Bundestagsmehrheit für die Bundestagsopposition gerettet.

Bei den Bündnisgrünen war die Stimmung deshalb ausgelassen bis euphorisch. Jauchzer und Hochrufe auf die SpitzenkandidatInnen Iris Blaul und Rupert von Plottnitz. Zwischen 11 und 12 Prozent pendelten die Bündnisgrünen eine Stunde nach Schließung der Wahllokale bei den diversen Sendern. So viel Prozentanteile am Wahlkuchen hatten die Bündnisgrünen noch nie zuvor in einem Flächenland abbekommen. Im Fraktionszimmer knallten die Sektkorken. „Rot-Grün ist Zukunftsmodell für Bonn geworden“, konstatierte Fraktionsgeschäftsführer Reinhold Weist (noch) nüchtern. In Hessen, und das sei auch eine Erkenntnis aus der Wahl, stehen die Menschen nicht auf Patriarchen wie in Sachsen, Bayern und Brandenburg. Und Umweltminister Rupert von Plottnitz sah im Gespräch mit der taz gar eine „ideologische Trendwende“: „Die Mitte hat sich hin zu Toleranz und Liberalität verschoben.“ Für markige Sprüche und deutschnationale Politik gebe es keine Mehrheiten mehr. Und das sei von allergrößter Bedeutung für das Klima in dieser Republik. Außerdem habe sich gezeigt, daß die Grünen in Hessen auch ohne Joschka Fischer gewinnen können.

Von Plottnitz kündigte an, daß die Bündnisgrünen in den kommenden Koalitionsverhandlungen mit ihrem neuen Pfund wuchern werden. Da baute der amtierende und wohl auch der nächste Ministerpräsident, Hans Eichel (SPD), kurz vor 19 Uhr schnell vor. Der Wahlsieger zählte die Stimmen für SPD und Bündnisgrünen flugs zusammen und stellte fest, daß in Hessen „das Potential für Rot- Grün gewachsen“ sei: „So müssen wir weitermachen.“

Katzenjammer dagegen bei der CDU, die ihre erste Krisensitzung mit der hessischen Parteispitze und dem gestern wieder zurück nach Bayern geschickten „Schattenkultusminister“ Josef Kraus schon nach der 18-Uhr-Prognose hatte. Bis 19 Uhr war Spitzenkandidat Kanther im Landtag noch nicht aufgetaucht. Fraktionschef Roland Koch gestand die Niederlage ein und warf der SPD grantig vor, einen Wahlkampf gegen Bonn geführt zu haben. Dagegen präsentierte sich die Spitze der hessischen FDP putzmunter. Die Sektgläser klirrten, und Ignatz Bubis forderte den Bundesvorsitzenden Klaus Kinkel auf, heute in Bonn schon einmal den Champagner kalt zu stellen. Nur knapp über 5 Prozent für seine Partei hätten ihn geärgert. Aber das Ergebnis könne sich sehen lassen. Es sei erzielt worden, weil die Partei in Hessen eigenständig und geschlossen aufgetreten sei. Auch der hessische FDP- Fraktionsgeschäftsführer Hieltscher wies Spekulationen, wonach die FDP Leihstimmen von den CDU-WählerInnen erhalten habe, schroff zurück: Die FDP in Hessen habe allein dieses gute Ergebnis von (zuletzt) 7,8 Prozent erkämpft – „obgleich sich die Bonner Themen für uns nicht unbedingt positiv im Wahlkampf ausgewirkt haben“. Klaus-Peter Klingelschmitt