Auschwitz oder die Stadt der Zukunft

■ Unvorstellbar, und doch rational geplant: Warschauer Visionen für „danach“

Die monumentalen Bauformen der nationalsozialistischen Ära sind sattsam bekannt. Darin erschöpft aber hat sich ihr planerischer Anspruch mitnichten. Im gleichen Maße wie „Architektur als Propaganda“ der Untermauerung des Herrschaftsanspruchs diente, forcierte man Konzepte zur angestrebten Kolonisierung der eroberten Gebiete. In ausgreifendem Größenwahn wurde eine – im Wortsinn: grenzenlose – Raumordnung vom Atlantik bis zum Ural erarbeitet, während die Städte Europas brannten und Millionen von Menschenleben dem Krieg geopfert wurden. Der „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ (RFK), Himmler direkt unterstellt, war hierbei eine der entscheidenden Behörden, und der berüchtigte Generalplan Ost von 1941 lediglich Teil einer umfassenden Strategie. Allerdings sind diese Überlegungen für den „eingegliederten Ostraum“ nicht von den dort herrschenden, auf Terror beruhenden Planungsbedingungen zu trennen. Insbesondere die Raumpolitik der „zentralen Orte“ lieferte ein streng rationalistisches Netzwerk zur absoluten Kontrolle gewaltiger Landstriche. Durch diese „totale Planung“ sollte in den „Ostgebieten“ vom kleinsten Dorf bis zur Großstadt nach Vertreibung, Ermordung oder Versklavung der Bevölkerung ein anheimelndes „deutsches Siedlungsbild“ ausgeformt werden.

Das etwa umreißt den Kontext, innerhalb dessen die beiden Autoren ein Bild entfalten, das die konzeptionellen Hoffnungen deutscher, aber auch polnischer Stadtplaner zwischen 1939 und 1945 veranschaulicht. „Vernichtung und Utopie“ nennen sie ihr Bild, und wollen damit sagen, wie nah beides zusammenliegt. Überraschend genug ist es ja, daß eine urbanistische Vision von einer Stadt der Zukunft entstand, mitten im Weltkrieg. Nicht nur in Stettin oder Nürnberg, sondern auch für Warschau. Und in Birkenau sind die Krematorien schon in Betrieb, während deutsche Experten von einer „Stadtlandschaft Auschwitz“ träumen.

Zwischen Niels Gutschow – leidgeprüfter Sohn des im Hamburg der 30er und 40er Jahre programmatisch wirksamen Architekten Konstanty Gutschow – und Barbara Klain, in Warschau geboren und aufgewachsen, besteht eine fruchtbare Wechselwirkung. Beide Autoren verstehen ihren „Forschungsansatz als ,strukturalistisch‘, das heißt, wir glauben, eine ,kumulative Radikalisierung‘ erkennen zu können, auch in der Stadtplanung. Es brauchte keine Erlasse, und die ,Anordnungen‘ Himmlers schrieben lediglich fest, was sich in Übereinkunft führender Planer bereits eingestellt hatte. Der Überfall auf die Sowjetunion und die Bombardierungen im Westen ... trugen zur Radikalisierung der Träume von der Stadt der Zukunft bei.“

Zwei Seiten hat die Medaille, die das Buch prägt. Eine deutsche: Oskar Dengel wird im November 1939 Stadtpräsident von Warschau. Der ehemalige Kämmerer der Stadt Würzburg veranlaßt umgehend die Abordnung diverser Bau- und Planungsexperten – darunter Hubert Groß – aus seiner Heimat. Innerhalb weniger Monate wird von ihnen ein Plan für „Warschau, die neue Deutsche Stadt“ ausgearbeitet und dem „Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete“, Hans Frank, übergeben. Ein Plan, der die Schrumpfung einer Millionenstadt auf die Größe eines Provinzkaffs von nicht mehr als 40.000 Einwohnern vorsah! Auch in Posen, unter dem Regime von Arthur Greiser, entwickelte man analoge Konzepte. Das vielleicht Entscheidende dabei: „Dengel brauchte keinen Auftraggeber im Hintergrund, keinen ,zentralen Befehl‘. Ganz im Gegenteil: Diese Initiative sollte ihm den Weg nach oben ebnen.“ Das heißt, daß „ohne jede zentrale Lenkung, in Übereinkunft einflußreicher Architekten ein verbindliches Modell nationalsozialistischen Städtebaus“ entstand. In vorauseilendem Gehorsam von unten wurden Strategien formuliert, die vor der „Endlösung“ keineswegs haltmachten.

Und die polnische Seite der Medaille: Wenige Wochen nach der Kapitulation trafen sich Zygmunt Skibniewski, Stanislaw Dziewulski und Tadeusz Marczewski „privat“, um Pläne für das zukünftige Zentrum ihrer Hauptstadt zu schmieden. Auch der von Szymon Syrkus und der Gruppe PAU initiierte Zirkel gab sich, heimlich und unter Lebensgefahr, jahrelang weitgreifenden Überlegungen zum künftigen Umbau Warschaus hin. Kompensation deutscher Zwangsherrschaft? Jedenfalls sind internationale Einflüsse, wie die Idee von der Gartenstadt oder der „neighbourhood-unit“, bei all ihren Entwürfen unübersehbar. „Ähnlich wie ihre Kollegen in Plymouth, Rotterdam und Hamburg sahen auch diese Planer in der Kriegszerstörung eine ,Chance‘ zur Erneuerung der Stadt.“

So unterschieden sich diese Planungsansätze vielleicht weniger in ihrer städtebaulichen Form als in ihren Voraussetzungen. „Indem sie den Ostraum als ,ungestaltet‘ und bar jeder ,Kultur‘ hinstellen, wird die Tabula rasa zur Voraussetzung jedweder Neugestaltung. Nun jedoch agiert nicht der ,neue Mensch‘ einer sozialen oder gar sozialistischen Weltgemeinschaft, wie es sich die Neuerer der zwanziger Jahre vorgestellt hatten, sondern der ,Herrenmensch‘, der sich anschickt, die Welt zu unterwerfen.“ Das Fatale aber liegt darin, daß auch auf deutscher Seite nicht Unmenschen am Werke waren, sondern aufgeschlossene Experten, die Leitbildern folgten, welche wiederum auch international sanktioniert waren (und es zum Teil noch heute sind). Gerade das ist das eigentlich Monströse, weil es letztlich die These impliziert, daß all diese (totalitären) Zukunftsentwürfe ihren Antrieb nicht nur aus ideologischen Verblendungen oder den Feindbildern von Rassenfanatikern bezogen, sondern auch aus der gnadenlosen Zweckrationalität „praxisorientierter“ Wissenschaftler und Planer. Robert Kaltenbrunner

„Vernichtung und Utopie, Städteplanung Warschau, 1939–1945“, von Niels Gutschow und Barbara Klain, Junius Verlag, Hamburg 1994, 134 Abb., 190 S., 48 DM