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Wohnungspolitik auf rumänisch

Im rumänischen Klausenburg sollen 220 Angehörige der ungarischen Minderheit gezwungen werden, Untermieter aufzunehmen, weil sie „zuviel Wohnraum“ haben  ■ Aus Klausenburg Keno Verseck

„Mein Vater wurde nach dem Krieg erschossen. Später enteigneten sie unser Haus. Dann bauten wir 1977 ein neues, das rissen sie zehn Jahre später ab und steckten uns hier rein. Dann meine Arbeit im Labor. Wegen der Säuren hab' ich meine Gesundheit verloren. Und jetzt sind wir auf der Liste.“ Die Stimme des alten András Moricz zittert. Seine Frau Marta fährt fort: „Ich habe Krebs, ich kann ohne meinen Mann gar nichts machen. Und er hat Asthma. Ohne die Cortison-Spritzen könnte er gar nicht mehr leben. Und...“ Sie hält sich die Hände vors Gesicht und fängt an zu weinen.

András und Marta Moricz sind zwei von 220 Namen auf „Funars Liste“ im siebenbürgischen Klausenburg (Cluj). Seit Herbst letzten Jahres erschien sie in einer Klausenburger Zeitung: Fast ausnahmslos Ungarn, fast ausnahmslos Alte und Kranke, die aus ihren Wohnungen vertrieben werden sollen. Das Mittel: Zwangsuntervermietung ihrer Wohnungen. Die Grundlage: ein verstaubtes Wohnungsgesetz aus der Zeit des Diktators Ceaușescu. Laut dem Gesetz besitzen sie zuviel Wohnraum – in den meisten Fällen ein Zimmer zuviel.

András und Marta Moricz haben ein winziges „überschüssiges“ Zimmer ohne Separateingang. Ein Untermieter, der ins Bad gehen wollte, müßte durch das Schlafzimmer des Ehepaares – für die beiden Alten unvorstellbar. Um dem aufgezwungenen Zusammenleben zu entgehen, würden sie am liebsten sofort ausziehen. Aber sie wissen nicht wohin.

Die „Liste“ ist eine der neuesten antiungarischen Aktionen des Klausenburger Bürgermeisters Gheorghe Funar. Einst Mitglied der Rumänischen Kommunistischen Partei, wandelte sich Funar nach dem Sturz des Diktators im Dezember 1989 zum Nationalisten und wurde Chef der „Partei der Rumänischen Nationalen Einheit“ (PUNR). Im Februar 1992 gewann er mit knapper Mehrheit die Lokalwahlen in Klausenburg. Seither stieg Funar zu einem der berüchtigsten Bürgermeister auf: In den drei Jahren nach seiner Wahl verging kaum eine Woche, in welcher er nicht in irgendeiner Weise die 80.000 Ungarn in der 400.000-Einwohner-Stadt zu terrorisieren suchte. Seine Vorschläge reichen von der Ausweisung ungarischer Politiker aus Rumänien bis hin zum kompletten Bevölkerungsaustausch mit Ungarn, um die zwei Millionen Ungarn Rumäniens loszuwerden; seine Aktionen vom Verbot zweisprachiger Schilder bis hin zu willkürlichen Hausdurchsuchungen und Vertreibung ungarischer Organisationen aus ihren Räumlichkeiten.

So sollte auf Funars Wunsch vor kurzem die illegale Bebauung eines Grundstückes nachträglich legalisiert werden. Die ungarischen Abgeordneten im Stadtrat erhoben Einspruch. Funars Parteileute witterten dahinter „Antirumänismus“, wie es einer ihrer Abgeordneten ausdrückte. Um dem Vorwurf zu entgehen, „immer nur Sand ins funktionierende rumänische Getriebe zu werfen“ enthalten sich die Ungarn bei der Abstimmung schließlich.

Im Falle der Wohnungslisten aber pocht der Bürgermeister auf die Einhaltung jenes Ceaușescu- Gesetzes, das nicht einmal mehr in den letzten Jahren der Diktatur konsequent angewandt wurde und längst in Vergessenheit geraten war. Was hinter seiner Aktion steht, spricht Funar offen aus: Im Zentrum von Klausenburg, beschwert er sich, „wohnen fast ausnahmslos Ungarn.“ Die rumänischen Kommunisten, die alle Ungarn gewesen seien – „denn dem rumänischen Volk ist der Kommunismus fremd, und er wurde importiert“ –, hätten während der Diktatur „das Zentrum der Stadt besetzt, während Rumänen nicht in diese Zone ziehen durften und am Rand bleiben mußten“.

Deshalb sollen den Betroffenen nun gerichtlich Untermieter zugewiesen werden. Um seine Absicht durchzusetzen, hat Funar sich die Schwächsten herausgesucht. Fast alle auf der Liste Verzeichneten sind nicht nur Rentner, sondern auch krank, oft so sehr, daß sie sich nicht mehr allein versorgen können. Sie wohnen seit Jahrzehnten in ihren Wohnungen, die Angehörigen, mit denen sie dort eingezogen waren, sind im Laufe der Zeit verstorben. Und die Zimmer, in denen nun Untermieter wohnen sollen, haben meistens keinen Separateingang.

Der Klausenburger Rechtsanwalt und ungarische Stadtratsabgeordnete Péter Eckstein-Kovács, der die Betroffenen vor Gericht unentgeltlich vertreten will, erzählt, viele der Alten seien verzweifelt und ratlos oder würden schon jetzt, bevor ihnen ein Untermieter zugeweisen wird, neue Wohnungen suchen. Er berichtet auch von Leuten, die noch gar nicht auf der Liste stehen, aber aus Angst schon eine neue Wohnung gesucht hätten.

Die beiden Eheleute B. fragen sich, „ob jetzt alles wieder anfängt wie damals, als sie uns hier abgeladen haben wie Schutt“: Im Dezember 1955 enteignete der rumänische Staat ihre drei Häuser, zwei Jahre später wurde ihnen das Haus zugewiesen, in dem sie bis heute wohnen. Nun stehen auch sie auf „Funars Liste“, ebenfalls wegen eines überschüssigen Zimmers ohne Separateingang, denn Tochter und Sohn sind von zu Hause ausgezogen. Die Ironie der Geschichte: In den einstmals enteigneten Häuser der Eheleute B. residiert jetzt die Klausenburger Wohnungsbehörde, die bereits Mitarbeiter schickte, um das jetzige Haus des Ehepaares zu vermessen und die mögliche Anzahl der Zwangsuntermieter zu bestimmen. Herr B. hofft nicht mehr auf eine Entschädigung für die 1955 enteigneten Häuser. Er will mit seiner Frau nur in dem Haus bleiben, in dem er jetzt wohnt, und zwar allein. „Wenn sie uns einen Untermieter reinsetzen“, sagt er, „dann bringe ich mich um.“

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