Schleier auf der Matte

Provokationen und Wirtschaftskrise: Die Situation im algerischen Frauensport ist miserabel  ■ Von A.B. Lahouari

Berlin (taz) – Der Frauensport in Algerien hat niemals besondere Unterstützung erhalten. Seine Existenz wurde allenfalls toleriert, wenn er nicht gerade von dieser oder jener Regierung völlig an den Rand gedrängt wurde. Heute, da sein Überleben von den islamischen Fundamentalisten bedroht ist, muß er außerdem gegen einen noch verderblicheren Kontrahenten kämpfen: die wirtschaftliche Krise.

Gezwungenermaßen haben die Funktionäre der Sportklubs angesichts der mageren Subventionen eines Staates, in dem die Hälfte des Budgets für Waffen ausgegeben wird, ihre Ambitionen heruntergeschraubt. Und als sei es das Natürlichste der Welt, lösen sie zuerst die Abteilungen des Frauensports (Handball, Volleyball, Basketball, Leichtathletik) auf. In den Stadien und Hallen sind kaum noch Frauen zu sehen, und an die Existenz des Frauensports in dem nordafrikanischen Land erinnern nur noch einige „große Damen“, die im internationalen Sport eine Rolle spielen. Die Mittelstreckenläuferin Hassiba Boulmerka etwa, die 1992 in Barcelona die Goldmedaille über 1.500 Meter gewann und damit erste Olympiasiegerin in der Geschichte Algeriens wurde, oder Azizi Yasmina, die zur Weltelite der Mehrkämpferinnen zählt.

Dennoch haben algerische Sportlerinnen gerade 1994 Erfolge gefeiert, wie man sie bisher nicht kannte oder wie sie vielleicht auch im Nebel der Zeit verschwunden sind. Um so erstaunlicher ist es, daß diese in Disziplinen zustande kamen, bei denen es bisher keine herausragenden Leistungen gab, wie im Karate mit Nadira Zerrouki oder im Handball, wo es mit einem dritten Platz bei den Afrika-Meisterschaften hinter Angola und Nigeria einen Durchbruch gab, auf den man seit einem Jahrzehnt vergeblich gewartet hatte.

Solche Resultate zu erzielen war keineswegs einfach. Die nationalen Wettkämpfe werden trotz des Terrors und der Gewalt, die auch vor dem Sport nicht haltmachen, aufrechterhalten. Und die gesamte weibliche Elite ist gezwungen, umfangreiche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um vielfältige Formen von Aggression und Provokation zu vermeiden, wie sie beispielsweise kürzlich zwei Tennisspielerinnen im olympischen Komplex „5.Juli“ zu erleiden hatten, die von Unbekannten beschimpft wurden. Einige Athletinnen haben den Sport nach telefonischen oder schriftlichen Drohungen von militanten Islamisten zeitweise aufgegeben, vor allem wenn sie in Vierteln von Algier oder in Dörfern der Umgebung wohnen, in denen die Fundamentalisten stark vertreten sind.

In einer Sportart, die im Lande ohnehin hochgeschätzt wird, haben sich Algeriens Frauen ebenfalls große Hochachtung erworben, im Judo. Vollbracht hat dies Salima Souakri, der neue algerische Star, die mit kaum 21 Jahren den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft in Kairo belegte und bei den afrikanischen Meisterschaften ihren zweiten Titel gewann. Diese Leistungen haben alle anderen in den Schatten gestellt, und die Begeisterung der Jugend für das Judo und für Salima haben zu ihrer Wahl als beste Athletin des Jahres durch die Sportpresse beigetragen.

Die 20jährige Sportstudentin Salima trägt keinen Schleier. Sollte sie denn? Die Frage verdient, daß man sich ihr widmet. 1990 hatte der algerische Verband, um mit der Zeit zu gehen, während der Afrika-Meisterschaften, die in Anwesenheit des FIS-Führers und Bürgermeisters von Algier, Abdelmagid Guemazi, abgehalten wurden, einen Antrag an die internationalen Instanzen angekündigt, der das Tragen eines Schleiers auf der Matte zur Pflicht machen sollte. Es war die Zeit, als die „ostentativen“ Zeichen auf die Sportplätze übergriffen: Männershorts, die die Knie bedecken mußten, völliges Verbot von Shorts für Frauen, die in langen Hosen Sport treiben sollten. Die Annullierung der Wahlen von 1991 setzte den „ostentativen Zeichen“ ein Ende. Der Sport wurde auf Linie gebracht.

Salima Souakri läßt ihre schwarzen Haare weiter auf der Matte im Wind der Hoffnung wehen. In ihrem Herzen trägt sie die geheime Hoffnung, daß sie eines Tages ohne Risiko trainieren oder ohne sich zu verhüllen auf den Straßen von Algier spazierengehen kann. Und sie ist nicht allein. Da sind Hassiba, Nadira, Nouria und viele andere, die nicht wollen, daß der Sport der Frauen in Algerien stirbt. Sie sind überall in Algerien, in den Behörden, den Fabriken, den Schulen, den Krankenhäusern...