■ Interview mit dem Bündnisgrünen Rupert von Plottnitz zu Hessen und den Folgen für Rot-Grün
: In der SPD wird viel gejammert

taz: Die rot-grüne Koalition hat die Hessenwahl gewonnen. Die Bündnisgrünen sind die eindeutigen und einzigen Wahlsieger. Nur der Stimmenzuwachs für die Bündnisgrünen hat – bei Stimmenverlusten für die SPD – dafür gesorgt, daß der Sozialdemokrat Hans Eichel Ministerpräsident bleiben kann.

Wird das Regieren in Wiesbaden mit einem derart angeschlagenen Partner nicht schwieriger werden?

Rupert von Plottnitz: Das sehe ich nicht so. Die Sozialdemokraten werden sich schnell wieder daran erinnern, daß auch die SPD zu den Siegern gehört. Schließlich hat auch ihr Ergebnis maßgeblich dazu beigetragen, daß Manfred Kanther und die CDU mit ihrer Rolle rückwärts in Hessen nicht zum Zuge kamen.

Das kann doch nur ein schwacher Trost für die SPD sein. Wer sich die Ergebnisse etwa in den Großstädten anschaut, kommt zu dem Schluß, daß sich die Prozentzahlen für die Bündnisgrünen etwa in Frankfurt, Darmstadt oder auch Kassel denen für die SPD annähern.

Die Milieus, die sich früher um jeden Preis einer bestimmten Partei zugehörig gefühlt haben, lösen sich mehr und mehr auf. Es gibt neue Haltungen bei der sogenannten Mitte, die sich zugunsten der Grünen auswirken.

Die Vorstellung, daß diese Mitte nur aus Leuten bestehen würde, die für einen Wirtschaftsstandort sind, der keine Rücksicht auf Umweltbelange kennt, die flüchtlingsfeindlich sind und sogar Kinder auf Flughäfen einsperren und dann abschieben wollen, stimmt mit der Wirklichkeit schon länger nicht mehr überein.

Was bedeutet das für das politische Klima in der Republik?

Das heißt, daß eine Partei wie Bündnis 90/Die Grünen, wenn sie sich nicht beirren läßt von Ideologien, die immer gerne mit der sogenannten Standortdebatte einhergehen, sehr gute Aussichten hat, auch anderswo – vor allem in den Ballungsräumen – nicht unbedingt eine Volkspartei traditioneller Form zu werden; aber sich durch die Unterstützung aus den Milieus der amtierenden Volksparteien einer solchen Form nähert.

Der SPD-Fraktionschef im hessischen Landtag, Armin Clauss, giftete schon sinngemäß in Richtung Bündnisgrüne, daß die Partei dabei sei, sich zur Interessenvertretung der sorgenfreien Besserverdienenden zu wenden.

Clauss vergißt dabei, daß auch die SPD schon lange keine Partei der Arbeiterklasse mehr ist und insofern für sich auch nicht mehr in Anspruch nehmen kann, noch für das Lager der Entrechteten und Unterdrückten zu stehen.

Aber Sie würden der Wertung von Clauss nicht widersprechen wollen?

Daß wir eine bürgerliche und keine proletarische Partei sind, ist eine Binsenweisheit. Wir waren aber auch zu unseren wildesten Zeiten nie eine proletarische Partei. Das ändert aber nichts daran, daß wir mit am entschiedensten für Maßnahmen zugunsten sozial gerechter Verhältnisse eintreten.

Die SPD beklagt auch, daß die Bündnisgrünen bei Wahlen nicht zur Zusammenarbeit bereit seien. Stichwort: Stimmensplitting bei Erst- und Zweitstimme.

Deshalb seien sechs Wahlkreise – darunter der von Hans Eichel – von der SPD an die Union gefallen. Das Bündnis CDU/FDP präsentiere sich deshalb geschlossener als das rot-grüne Lager, monierte Eichel.

Im Gegensatz zur FDP sind wir tatsächlich eine eigenständige Partei. Und in Wahlkämpfen haben wir bislang auf Koalitionen und Bündnisse verzichtet.

Ob das immer so sein muß, darüber kann man ja einmal nachdenken. Aber bislang sind wir mit der Devise, im Wahlkampf getrennt zu streiten, immer gut gefahren.

Gejammert wird bei der SPD auch deshalb, weil von der rot-grünen Koalition offenbar nur die Grünen profitiert haben. Bayerische Stimmungspolitiker glauben bereits, daß die SPD eines Tages der Mehrheitsbeschaffer für die Grünen sein wird.

Von Rot-Grün profitiert doch, bei einer Lagerbetrachtung, auch die SPD. Die CDU ist doch hier in Hessen nicht mehrheitsfähig geworden. Und in den Kommunen, in denen die SPD eine große Koalition eingegangen ist, hat die Partei tatsächlich weitaus größere Verluste hinnehmen müssen. Was tun, Genossen?

Ich kann nur raten, aus den hessischen Erfahrungen zu lernen. Eine SPD, die ohne Wenn und Aber auf Rot-Grün setzt, hat alle Chancen, der CDU den Weg zu verstellen. Aber eine SPD, die nur murmelt, die undeutlich ist, die nicht den Mut zu einem klaren Bekenntnis für Rot-Grün aufbringt, verhilft der CDU zu Mehrheiten – siehe Bundestagswahl.

Die Bündnisgrünen haben angekündigt, mit ihrem Pfund in den kommenden Koalitionsverhandlungen wuchern zu wollen.

Natürlich werden die neuen Kräfteverhältnisse bei den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen. Und das wird sich dann auch im Ergebnis niederschlagen...

Also raus aus dem Ghetto Umwelt/Frauen/Soziales?

Im Vorfeld dieser Koalitionsverhandlungen wird heftig spekuliert. Wir lassen uns davon nicht beirren. Wir haben zunächst immer zuerst über Sachfragen verhandelt. So werden wir es wieder halten. Erst danach geht es um die Ressortverteilung.

Welche Sachthemen haben bei den Bündnisgrünen Priorität?

Es geht uns um die Intensivierung einer Politik, die Umwelt und Wirtschaft gleichermaßen ernst nimmt, beide Bereiche nicht als Gegensätze sieht, sondern als zwei Aspekte, die miteinander vernetzt und verknüpft sind. Deshalb hat ja auch die taz die beiden Seiten Wirtschaft und Umwelt eingeführt.

Wichtig ist uns auch, daß wir in der Flüchtlings- und Asylpolitik alles ausschöpfen, was uns an rechtlichen Spielräumen zur Verfügung steht, um ein Gegengewicht gegen das zu setzen, was Kanther in Bonn an Politik betreibt.

Sie haben gesagt, die Bündnisgrünen seien fast eine Volkspartei geworden. Eine Volkspartei kann und muß doch auch etwa einen Innenminister stellen können. Oder ist das – wegen der Zuständigkeit für die Polizei – noch ein Tabuthema?

Es gibt keine Tabuthemen für die Grünen. Wir sind vom Programm und vom Personal her in der Lage, alle Ressorts, die zu einer Regierung gehören, zu besetzen.

Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt