Südafrika lüftet einen Zipfel seiner Geschichte

■ Leiter der „Dritten Kraft“, die die Township-Gewalt schürte, vor Gericht

Berlin/Pretoria (taz/wps) – Die schwierige Vergangenheitsbewältigung in Südafrika kommt einen großen Schritt weiter: Zum ersten Mal steht seit Montag ein Ex-Offizier der Sicherheitskräfte in Pretoria vor Gericht – und es ist ein dicker Fisch. Der 45jährige Eugene de Kock, Ex-Oberst, muß sich wegen 121 Delikten verantworten, unter anderem Leitung von Todesschwadronen, Entführungen, Waffenschmuggel und elf Morde. De Kock war Kommandeur der Polizeibasis Vlakplaas bei Pretoria, von der aus die letzte weiße Regierung Südafrikas ihren schmutzigen Krieg gegen den ANC in den schwarzen Townships führte. Er war also Anführer der sogenannten „Dritten Kraft“, Schürer der Gewalt zwischen Anhängern des ANC und der Zulupartei Inkatha, der in den späten 80er und frühen 90er Jahren über 10.000 Menschen zum Opfer fielen.

Beobachter vermuten, daß dieses Gerichtsverfahren das explosivste in Südafrika werden könnte, seit der heutige Präsident Nelson Mandela in den 60er Jahren vor Gericht stand. Es geht nicht nur um Terrorakte in Südafrika und Bombenanschläge auf ANC-Vertreter im Ausland, sondern auch um das Netzwerk der Spitzel der Geheimpolizei in allen Bereichen der südafrikanischen Gesellschaft und um die Kenntnis all dieser Aktivitäten bis in die höchste Staatsspitze hinein.

De Kock leitete Vlakplaas zwischen 1985 und 1993. Die Basis wurde bereits 1989 von ihrem früheren Kommandeur Dirk Coetzee als „das Gehirn, der Organisator der schwarz-schwarzen Gewalt, das Herz der Dritten Kraft“ bezeichnet. Die Goldstone-Kommission zur Aufklärung der politischen Gewalt sammelte weitere Indizien über die zentrale Rolle, die Vlakplaas im Apartheid-System spielte. In den jetzigen Ermittlungen ist de Kock persönlich schwer belastet worden: Almond Nofemela, der einer Todesschwadron angehörte, sagte aus, de Kock habe den Bruder eines mutmaßlichen ANC-Guerillakämpfers, Japie Maponya, in einen Polizeiwagen gesperrt und dann eine Tränengasgranate hineingeworfen. Dann habe de Kock den Mann per Kopfschuß getötet. Im Jahr 1988 beschoß de Kock an der Grenze zu Swaziland, wo ein ANC-Guerilla- Kommando erwartet wurde, einen Kleinbus voller Zivilisten und tötete drei Frauen und einen Mann.

Zu Beginn des Prozesses grüßte de Kock seine zahlreich versammelten Freunde im Gerichtssaal und plädierte in allen Anklagepunkten auf nicht schuldig. Sein Anwalt Flip Hattingh sagte, er erwäge, eine Vertagung des Prozesses zu beantragen, bis die von der neuen Regierung eingesetzte „Wahrheitskommission“ ihre Arbeit abgeschlossen hat – was Jahre dauern könnte. Der Gedanke dahinter dürfte die Hoffnung auf eine Amnestie sein.

Um das zu verhindern, will die Anklage beweisen, daß de Kock nicht politisch motiviert handelte, sondern auf persönlichen Vorteil hoffte – wie auch immer man dies unterscheiden mag.

Offen ist, ob de Kocks Verbindungen zu Ex-Staatspräsident de Klerk zum Thema werden. Vor 1994, als F.W. de Klerk noch Präsident war, wies er Mutmaßungen über eine „Dritte Kraft“ routinemäßig damit ab, daß es höchstens einige unkontrollierte Polizisten geben könnte. Warum aber schenkte die Regierung de Kock bei seiner Pensionierung im April 1993 343.000 Dollar? Der Prozeß könnte noch zu Turbulenzen in der Regierung sorgen, wo heute de Klerk und Mandela gemeinsam sitzen. „Bei einer, nur einer Frage habe ich mit de Klerk die Klingen gekreuzt“, sagte Mandela kürzlich. „Das ist sein Versuch, die Beweise für die Dritte Kraft und den Tod Tausender Menschen zu verheimlichen.“ D.J.