Steuerliche "Entlastung de luxe"

■ SPD kritisiert Waigels Entwurf zum Jahressteuergesetz 1996 als "Zumutung" / Koalitionstreffen endet ohne greifbares Ergebnis / Familienministerin Nolte will Kindergeld erhöhen, Waigel nicht

Bonn (dpa/AFP/AP/taz) – Die SPD hat den Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996 von Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) als Ausdruck der „Hilflosigkeit“ zurückgewiesen. „Trotz eines kiloschweren Pakets“ an Steueränderungen gebe es bei den familienpolitischen Themen nur Fehlanzeige, kritisierten die SPD-FinanzpolitikerInnen Ingrid Matthäus-Maier und Joachim Poß gestern. „Das Paket ist eine Zumutung“, erklärte Matthäus-Maier. Im übrigen würden die gesamten Steuerausfälle des Staates 1996 nach den bisherigen Plänen der Koalition um mindestens zehn Milliarden Mark höher ausfallen als veranschlagt.

Ein Treffen von Spitzenpolitikern der Regierungskoalition über das Jahressteuergesetz endete gestern zunächst ohne greifbare Ergebnisse. FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms sagte nach der Beratung, Entscheidungen würden in der nächsten Sitzungswoche des Bundestags bekanntgegeben. Am Nachmittag verlautete dann aus Parteikreisen, Waigel habe sich in der Koalition mit seinen Steuerplänen durchgesetzt. Das Bundeskabinett soll am 28. März über das Jahressteuergesetz 1996 entscheiden, mit dem die Freistellung des Existenzminimums, die Senkung der Gewerbesteuer und die Vereinfachung des Steuersystems geregelt werden soll. Gleichzeitig soll es auch Maßnahmen zur Verbesserung des Familienleistungsausgleichs absegnen.

Waigel beharrt darauf, Familien um ein Volumen von lediglich sechs Milliarden Mark zu entlasten. Er lehnt eine Erhöhung des Kindergeldes auch für das erste Kind ab. Liberale und Teile der CDU fordern jedoch eine solche Erhöhung. So betonte Familienministerin Claudia Nolte (CDU) gestern, mittelfristig müsse die Entlastung der Familien über den von Waigel vorgegebenen Rahmen hinaus gesteigert werden. Wie sie meinte auch der stellvertretende Unionsvorsitzende Heiner Geißler, es sei unerläßlich, bereits beim ersten Kind das Kindergeld anzuheben. Die stellvertretende SPD- Fraktionschefin Matthäus-Maier nannte die Haltung der Regierung in der Frage des Familienleistungsausgleichs ein „Armutszeugnis“. Sie unterstrich die SPD-Forderung nach einem einheitlichen Kindergeld von 250 Mark monatlich ab dem ersten Kind.

Scharf kritisiert wurden von den Sozialdemokraten auch die Pläne Waigels zur Unternehmenssteuerreform. Die durch die geplante Streichung der Gewerbekapitalsteuer entstehenden finanziellen Auswirkungen seien für die einzelnen Gemeinden unkalkulierbar, sagte Poß. In den parlamentarischen Steuerberatungen, die nach Auffassung der beiden Abgeordneten im Vermittlungsverfahren landen werden, will die SPD den Solidarzuschlag zunächst für die unteren Einkommensgruppen streichen. Beim steuerfreien Existenzminimum hält die SPD an ihrer Forderung von 13.000 Mark für Ledige und 26.000 Mark für Verheiratete fest, während Waigel nur 12.000/ 24.000 Mark zugestehen will. Daß von Waigels Entwurf auch Bezieher hoher Einkommen profitieren würden, bezeichnete Poß als „Entlastung de luxe“, für die es keinen Anlaß gebe.

Die Steuervereinfachungspläne Waigels sehen erhöhte Sparzulagen, verbesserte Abzugsmöglichkeiten bei Berufsausbildung und Alterssicherung, weniger Papierkram bei Steuererklärungen und eine verlängerte Wirtschaftsförderung Ost vor. So soll die sogenannte Kurzveranlagung, für die sich Steuerpflichtige entscheiden können, eine Kurzvariante der bisher mehrseitigen Steuererklärung werden. Die SPD sprach hinsichtlich der Kurzveranlagung gestern von einem „Etikettenschwindel“. Immerhin müßten weiterhin alle Werbungskosten wie Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Reisekosten und Fachliteratur im einzelnen angegeben und belegt werden. Die Wahlfreiheit, die bei Entscheidung für die Kurzveranlagung einen Sonderfreibetrag von 1.200/ 2.400 Mark vorsieht, werde in den Finanzverwaltungen zu Mehrarbeit führen.