Ein Hoffen auf Veränderung

In der Intifada befreiten sich auch die palästinensischen Frauen. Heute leiden sie unter der ökonomischen Krise – und den Aggressionen der Männer  ■ Aus Gaza Anja Meulenbelt

Majda arbeitet im Frauenzentrum von Khan Younis – zuvor war sie in der Intifada, dem Aufstand der PalästinenserInnen in den von Israel besetzten Gebieten, aktiv. „Ich hatte Glück“, meint sie, „denn ich verbrachte keinen einzigen Tag im Gefängnis.“ Dreimal wurde Majda verhaftet, weil sie zusammen mit den Jungen Parolen an die Mauern gesprüht, die verbotene palästinensische Flagge an Strommasten gehißt oder israelische Soldaten mit Steinen beworfen hatte. Bei ihrer ersten Festnahme sprang sie aus dem Militärjeep, geriet unter die Räder eines anderen und brach sich beide Beine. Beim zweiten Mal wurde Majda bewußtlos geprügelt, und bei der dritten Verhaftung trat man ihr so heftig in den Bauch, daß sie Blutungen bekam. Jedesmal kam sie ins Krankenhaus, und jedesmal gelang es ihr, von dort zu fliehen, bevor die israelischen Soldaten kamen, um sie abzuholen.

Noch heute hat sie Probleme mit ihrem Magen, und das Handgelenk schmerzt, wenn sie zu lange vor dem Computer sitzt. Majda versucht, Englisch zu studieren, denn zu Zeiten der Intifada war an ein geregeltes Studium nicht zu denken gewesen. Sie möchte gerne an der Bir-Zeit-Universität in der Westbank studieren, erhält jedoch keine Ausreiseerlaubnis aus dem Gaza-Streifen. Heiraten will Majda nicht. Sie möchte alleine wohnen, aber das ist in Gaza für eine Frau nicht möglich. Dennoch gibt sie die Hoffnung, daß es klappen wird – irgendwann einmal – nicht auf.

Namadi ist dreißig und Mutter von vier Kindern. Sie wurde mit ihrem Cousin verheiratet. Anfangs hatte sie das furchtbar gefunden, doch heute denkt sie anders. „Er ist ein guter Mann“, sagt sie. Die Familie hat ein eigenes Haus und ein Auto; Namadi ist modisch gekleidet. „Die beiden jüngsten sind Kinder der Intifada“, sagt sie im Spaß. „Über die lange Zeit der abendlichen Ausgangssperre und monatelanger Ausgangsverbote rund um die Uhr – da blieben wenig Möglichkeiten, sich zu beschäftigen...“

Fatma war 16, als sie heiratete. Die Schule hat sie nicht abgeschlossen. Als sie 19 war, ein Kind hatte und zum zweiten Mal schwanger war, wurde ihr Mann von israelischen Soldaten erschossen. Damals schloß sie sich einer Widerstandsgruppe an, lernte Autofahren und besuchte die Dörfer und Lager, um die Frauen zum Kampf in der Intifada aufzurufen. Fatma wurde verhaftet und, nachdem man sie 21 Tage lang verhört hatte, zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Vor einigen Jahren kam sie frei. Die Gruppe, für die sie arbeitete, konzentrierte sich ganz auf den Widerstand – für die ehemaligen Gefangenen blieb da nur wenig Zeit. Ein eigenes Haus besitzt sie nicht mehr, das wurde vom israelischen Militär dem Erdboden gleichgemacht. So teilt sie sich heute mit ihren Kindern ein winziges Zimmer im Haus der Familie ihres Mannes. Sie versucht, etwas zu lernen, was ein bißchen Geld einbringt, und bemalt Vasen und Tücher.

Nahida wohnt mit ihrem Mann und vier Kindern in Abassa al- Kabira. Ursprünglich waren sie reiche Bauern – aber den größten Teil des Landes hat die fast hundertköpfige Familie ihres Mannes verloren. Nahida ist eine der wenigen Frauen aus der Familie, die berufstätig ist. Auch sie war aktiv in der Intifada, aber auf eine andere Art und Weise als Majda. Sie organisierte Unterbringungen für Verwundete, um sie vor einer Verhaftung in ihrem Zuhause zu schützen, holte Ärzte und brachte während der Ausgangssperre den Familien, die nun keinen Ernährer mehr hatten, Geld und Lebensmittel.

Vier palästinensische Frauen mit einer jeweils anderen Geschichte. Alle vier leben im Gaza- Streifen, dem seit Mai letzten Jahres von den Palästinensern selbstverwalteten Gebiet. Der Gaza- Streifen ist ein schmaler Landstrich von vierzig Kilometer Länge und zehn Kilometer Breite. Man sagt, daß dieses Gebiet dichter besiedelt ist als Hongkong. Die Bevölkerung besteht zu zwei Dritteln aus Flüchtlingen; viele leben schon seit 1948 in Lagern. An die Stelle der Zelte traten allmählich Hütten mit Asbestdächern und Häuser aus unverputzten Ziegelsteinen. Elektrizität ist knapp, Wasser eine Mangelware – außer in der Zeit, zu der ich das Gebiet besuche und es wie aus Eimern schüttet. Gaza wird durch den winterlichen Regenfall in einen einzigen Schlammtümpel verwandelt; die offenliegende Kanalisation überflutet die Straßen obendrein.

Die Schulen und Gesundheitszentren werden größtenteils durch internationale Organisationen wie der Flüchtlingshilfsorganisation der Vereinten Nationen, UNRWA, finanziert. Über die Hälfte der Bewohner des Gaza- Streifens ist ohne Arbeit. Der ihrem Ursprung nach bäuerlichen Bevölkerung ist ein Großteil des Landes genommen worden. Das einzige hier im Überschuß vorhandene Produkt, das für den Export in Frage käme, Apfelsinen, darf nur über israelische Firmen ausgeführt werden. Die Verdienstspanne ist dermaßen gering, daß sich die Ernte nicht lohnt.

Wichtigste Einkommensquelle ist bis heute die Arbeit in Israel. Die Männer arbeiten meistens auf dem Bau, Frauen als Hausmädchen und Putzfrauen. Die Glücklichen, die eine Arbeitserlaubnis haben, warten schon vor Tagesanbruch am nördlichen Checkpoint Erez, um nach Israel durchgelassen zu werden. Die durchschnittliche Wartezeit liegt zwischen einer und drei Stunden. Erst dann können sie sich auf den Weg zu ihrer Arbeit machen, um sich gegen Ende des Tages erneut in die endlose Warteschlange einzureihen. Auch die Frauen warten täglich auf der palästinensischen Seite der Grenze darauf, von einem israelischen Arbeitgeber abgeholt zu werden. Kommt er nicht, gibt es für sie an diesem Tag keine Arbeit, und sie machen sich wieder auf den Heimweg. Palästinenser, die irgendwann im Gefängnis gesessen haben – und das sind viele –, erhalten keine Arbeitserlaubnis. Ihre Angehörigen ebenfalls nicht.

Die israelische Regierungspolitik zielt darauf, möglichst viele palästinensische Arbeiter durch neu eingewanderte Juden zu ersetzen, obwohl diese weniger oft bereit sind, unter dem Mindestlohn zu arbeiten, was die Palästinenser unter dem Zwang der Verhältnisse annehmen müssen. Inzwischen werden sogar Gastarbeiter von den Philippinen oder aus Rumänien ins Land geholt. Dazu die ständig wiederkehrende Abriegelung des Gaza-Streifens, die dem nun autonomen Gebiet von Israel aus „Sicherheitsgründen“ auferlegt wird und die die palästinensischen ArbeiterInnen um ihren so dringend benötigten Lohn bringt.

Seit den euphorischen und ausgelassenen Feiern zum Osloer Abkommen im September 1993, als erstmals die palästinensische Flagge gehißt werden konnte, ist die Stimmung rapide gesunken. Daß durch die Straßen von Gaza keine israelischen Soldaten mehr patrouillieren, nachts nicht mehr gegen Türen gehämmert wird und Häuser durchsucht werden, läßt die Bewohner aufatmen. Aber frei?

Ein Viertel dieses kleinen Stückchen Landes ist noch immer in Besitz der israelischen Siedler. Es tut weh zu sehen, daß man innerhalb der Siedlungen genügend Wasser für die Schwimmbäder und zum Sprengen der grünen Rasenflächen hat, während die palästinensischen Bauern für die Bewässerung ihrer Felder einen hohen Preis zahlen müssen. Die Straßen zwischen den Siedlungen und der Grenze sind für die PalästinenserInnen verbotenes Gebiet, ebenso wie ein großer Teil des Strandes. Wer vom Checkpoint Erez im Norden des Gaza-Streifens nach Rafah im Süden fährt, muß achtzehn Straßensperren und Kontrollposten passieren.

In der von PLO-Chef Jassir Arafat zusammengestellten palästinensischen Selbstverwaltung gibt es bislang nur eine Ministerin: Um Jihad, die Witwe des langgedienten PLO-Aktivisten und Märtyrers Abu Jihad. Hanan Aschrawi, eine Vollblutpolitikerin, die an den Verhandlungen mit Israel beteiligt war, hat dankend abgelehnt und beschäftigt sich jetzt mit den Menschenrechten. Es wird viel Kritik laut an Arafat, auch unter den Frauen, die das Gefühl haben, während des nationalen Befreiungskampfes gebraucht worden zu sein, um mit dessen Ende wieder nach Hause geschickt zu werden.

Zu Hause aber sind gerade sie die Leidtragenden der Spannungen. Nun, da die Intifada nicht mehr besteht, wissen viele Jungen und Männer nicht mehr wohin mit ihren Frustrationen und Aggressionen. Ein anderes Leben als das unter der Besatzung kennen sie nicht. Die Männer kehren aus den Gefängnissen zurück, mit der Erwartung, als Helden begrüßt und gefeiert zu werden – was kurzzeitig auch so ist. Dann jedoch geht das alltägliche Leben weiter. Arbeit finden sie nicht, ein Ziel, wie zu Zeiten der Intifada, kaum. Ihre Kinder sind an eine väterliche Autorität nicht mehr gewöhnt. Von ihren Frauen erwarten sie, daß sie in ihre alten Rollen zurückschlüpfen. Aber die haben sich inzwischen an eine größere Bewegungsfreiheit gewöhnt.

„Unsere Verarbeitung einer massenhaften und kollektiven Traumatisierung hat gerade erst begonnen“, sagt Iyad Saraj, der Direktor des „Mental Health Programme“, der einzigen Einrichtung in Gaza, die im Bereich der psychischen Betreuung arbeitet. „Aggressionen, die nicht herausgelassen werden können, richten sich nach innen“, sagt er. „Und die ersten Opfer sind dann die Frauen und Kinder.“

Finam gehört zu einem Kreis von Frauen, die an dem im Zentrum stattfindenden Rehabilitationsprogramm teilnehmen. Ihr Mann wurde drogenabhängig und dadurch paranoid und gewalttätig. Als sie mit ihrem fünften Kind schwanger war, stach er sie mit einem Messer in den Bauch. Zwei Wochen lag sie im Krankenhaus. Das Kind hat sie verloren. Ihr Mann wurde nach fünf Tagen wieder aus dem Gefängnis entlassen. Die Familie ihres Mannes setzte sie unter Druck, trotz allem bei ihm zu bleiben. Sie versuchte es, aber jedesmal, wenn er das Zimmer betrat, mußte sie sich übergeben. Daraufhin ließ man sie gehen, zurück zu ihrer eigenen Familie. Von den vier Kindern hat sie drei bei ihrem Mann zurücklassen müssen. Nur das jüngste, das, wie er behauptete, nicht von ihm wäre, durfte sie mitnehmen. Sie lächelt vage, als sie mir diese Geschichte erzählt, so als wäre sie nicht wirklich präsent. Aus der Handarbeit, die in ihrem Schoß liegt, wird nicht viel. Eigentlich gehört sie nicht in diese Gruppe, die aus ehemals inhaftierten Frauen besteht. Aber eine andere Frauengruppe gibt es nicht, und hier spricht sie zumindest wieder ein wenig.

Am Ende bleibt den palästinensischen Frauen nur die Hoffnung auf eine viel grundsätzlichere Veränderung. „Irgendwann einmal muß es besser werden“, sagt Majda. „Es muß ganz einfach! Ich bin mir ganz sicher, so sicher, wie ich weiß, daß auch der Regen wieder aufhören wird. Und wenn nicht, dann wird eine neue Intifada kommen.“

Die Autorin besuchte den Gaza- Streifen im Auftrag der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die uns die Übersetzung zur Verfügung stellte