Kindersegen bringt Kündigung

Studie des Frauenministeriums: Bei Mutterschaft droht ostdeutschen Frauen die Entlassung / Arbeitgeber verstoßen nicht selten gegen Kündigungsschutz während des Erziehungsurlaubs  ■ Von Sonja Schock

Berlin (taz) – Andrea S. aus Cottbus ist Verkäuferin. Eineinhalb Jahre hat sie pausiert, um sich um ihr erstes Kind kümmern zu können. Da ihr Erziehungsurlaub Mitte März endet, fragte sie bereits bei ihrem Betrieb an, wann sie wieder anfangen soll. Daraufhin wurde sie zum Gespräch gebeten. „Der hat mich gefragt, was ich weitermachen will“, erzählt Andrea S., „da hab ich gesagt, na, wieder an der Frischtheke. Worauf mein Chef mir sagte, in Cottbus habe er nur noch eine reduzierte Stelle mit 25 Wochenstunden. Das wären im Monat 1.200 Mark brutto. Als Alternative hat er mir eine Arbeit in Luckau angeboten. Da müßte ich täglich drei Stunden fahren. Das sind so 60 Kilometer von Cottbus.“ Der Personalchef hatte noch eine andere Offerte. Frau S. könne natürlich auch kündigen. Dann wäre der Betrieb sogar bereit, ihr bis Mai ihr Gehalt weiterzuzahlen. In dieser Zeit könne sie sich ja etwas Neues suchen. Andrea S. ging auf keines dieser Angebote ein, sondern statt dessen zur Rechtsberatung der Gewerkschaft.

„Wenn das doch bloß mehr Frauen machen würden“, seufzt Ellen Burghardt, Referatsleiterin der Abteilung Frauenpolitik beim DGB in Düsseldorf. „Da können wir Schulungen durchführen und Informationsmaterial verteilen, und die Leute unterschreiben trotzdem die Kündigung oder den Auflösungsvertrag ohne uns vorher zu fragen.“ In der DGB- Zentrale sind die Auswirkungen der Mißachtung des Kündigungsschutzgesetzes noch relativ unbekannt, und auch die Frauensekretärin der DGB-Landesgeschäftsstelle in Berlin/Brandenburg kennt bisher nur „einige wenige Fälle vom Hörensagen.“

Das Bundesfrauenministerium dagegen weiß mittlerweile mehr. Diese Woche werden auch die Gewerkschaften aus diesem Hause eine Studie erhalten, die stichprobenartig ermittelte, wieviele Frauen in den neuen Bundesländern während des Erziehungsurlaubs oder kurz danach die Kündigung erhielten. Von 1.391 befragten Frauen verloren danach 48 Prozent ihren Arbeitsplatz durch Kündigung. Knapp die Hälfte dieser Kündigungen beruhte auf Betriebsschließungen, bei 23 Prozent handelte es sich um Massenentlassungen und 24 Prozent der Frauen wurden individuell gekündigt.

Eine Kündigung während des Erziehungsurlaubs ist jedoch gesetzeswidrig und nur in Ausnahmefällen, die der Zustimmung durch die entsprechenden Gewerbeaufsichtsämter bedürfen, zulässig. In einem Appell an die Präsidenten der Arbeitgeberverbände mahnt die Frauenministerin Claudia Nolte (CDU) denn auch: „Kündigungen während des Erziehungsurlaubs ohne Einschaltung des Gewerbeaufsichtsamtes sind rechtswidrig.“ Es sei „nicht hinnehmbar, daß junge Mütter ohne Beachtung der einschlägigen Gesetze entlassen werden.“ Inwieweit derartige Kündigungen möglicherweise allzu leichtfertig von den entsprechenden Behörden abgesegnet worden sind, will der DGB jetzt klären.

Die Abgeordnete Edith Niehuis (SPD), die bereits vor Veröffentlichung der Studie eine entsprechende Anfrage an die Bundesregierung gerichtet hatte, sieht einen zusätzlichen Handlungsbedarf. Sie schlägt eine Schutzvorschrift gegen überproportionale Entlassungen von Frauen vor. Auch müsse über schärfere Sanktionen gegen gesetzeswidrig handelnde Arbeitgeber nachgedacht werden.

Die Bundesregierung sieht dies anders. Ihre Argumentation: Die Umfrageergebnisse stammten schließlich aus den Jahren 1991 und 1992 und seien heute nicht mehr aktuell. Es könne davon ausgegangen werden, daß die Arbeitsplatzunsicherheit der vergangengen Jahre nicht mehr bestehe.

Gerade die Gewerkschafterinnen vor Ort haben da jedoch ganz andere Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel in Brandenburg. „Das ist immer noch so schlimm wie vor drei Jahren“, weiß Helga Bunke, Geschäftsführende Sekretärin der Bezirksgeschäftsstelle der HBV in Cottbus. Immer wieder kommen Frauen zu ihr, die während des Erziehungsurlaubs aus dem Arbeitsverhältnis verdrängt werden sollen. Dabei wird häufig, wie im Fall von Andrea S., alternativ zur Kündigung eine Stelle angeboten, die wegen der Arbeitszeiten oder der Entfernung vom Wohnort gerade von einer jungen Mutter nicht angenommen werden kann.

Über die vermeintliche Verbesserung des Arbeitsmarkts kann Andrea S. nur lachen. „Ich habe einige Bekannte, die rausgedrängt wurden und jetzt seit einem Jahr arbeitslos sind. Die können sich drehen, wie sie wollen, die finden nichts Neues.“