■ Vorlesungskritik
: Enlightenment intensive

Nein, es ist keine gewöhnliche Vorlesung, die im Vorlesungsverzeichnis der Humboldt-Universität an erster Stelle steht. Schon des Themas wegen ließe sie sich schwerlich weiter hinten einordnen. „Mensch und Kosmos, Geist und Natur“ will Rudolf Bahro jeden Dienstagabend im Audimax erklären. Für den Spiegel sind Bahros Auftritte ein „Cocktail aus Marx und Jesus, Laotse und Bhagwan“. Religiöse Metaphern drängen sich in der Tat auf.

Der Prophet will bekehren. Dazu dient auch der Büchertisch, auf dem Mitarbeiter Publikationen aus Bahros Institut für Sozialökologie feilbieten, dazu dienen die Seminarankündigungen, mit denen er die Doppelstunde beginnt. Der Guru macht Reklame für einen „body weather“- Workshop und für einen Kurs im Schwarzwald mit dem schönen Titel „enlightenment intensive“. „Ein Stück Erwachen“ sei ein solches Seminar für ihn gewesen, so Bahro, „wie eine Massage am psychophysischen System.“ Auf dem Büchertisch darf natürlich die 1987 erschienene „Logik der Rettung“ nicht fehlen, gleichsam die Offenbarung für die Bahro- Jünger. Allein der Gedanke „an ein neues, anderes 1933“, heißt es darin, verspreche Rettung vor der Apokalypse. Robert Jungk warnte damals unter der Überschrift „Sein Kampf“, er habe seit Jahren „kein zeitgenössisches Werk gelesen, das mir so gefährlich erschienen ist“. Jutta Ditfurths Wort vom „Ökofaschismus“ machte die Runde.

Bahro will alles, und er will es jetzt. „Die raschestmögliche Zerstörung des Industriesystems um fast jeden Preis“ fordert er in der Vorlesung. „Ich kann nicht sehen, daß das ein terroristisches Konzept ist.“ Draußen sieht das offenbar jemand anders. Mit einem dumpfen Knall fliegen zwei Pflastersteine durchs Fenster – ein Vorfall, der seine Wirkung auf die entrückte Gemeinschaft drinnen völlig verfehlt. Im Hörsaal scheinen Mensch und Kosmos, Geist und Natur schon eins. Eine Hörerin knabbert an ihrer Mohrrübe, als sei nichts gewesen. Auch Bahro läßt sich von den Splittern vor seinen Füßen kein bißchen aus dem Konzept bringen.

In der zweiten Stunde, die der Rechtfertigung gegenüber dem Totalitarismus-Vorwurf gewidmet ist, geht Bahro immerhin mit einem Satz darauf ein: „Es kann ja durchaus sein, daß die Klamotte damit zu tun hat.“ Rechtsstaat, Demokratie oder Menschenrechte würden „als Veto der ökologischen Frage in den Weg gestellt“, klagt er. „Sie gehören nicht an die erste Stelle, sondern die Frage des Naturverhältnisses. Wir dürfen keiner dieser Errungenschaften das Vetorecht zugestehen, alles steht zur Disposition, auch die bescheidene Emanzipation.“

Leute wie Ernst Ulrich von Weizsäcker, nach dessen Berechnungen wir unseren Lebensstandard mit einem Viertel des Aufwands halten könnten, verrichten nach Bahros Ansicht bloß „Putzarbeiten auf der Titanic“. Ebenso die Grünen, zur deren Mitbegründern er vor seiner Hinwendung zur Esoterik einst zählte. Von Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf dagegen läßt er sich ein Ökodorf-Projekt finanzieren.

„Wenn es darum geht, kann man sich sogar mit dem Staat und den Sektenbeauftragten der Kirche verbünden“, hadert Bahro mit seinen linken Kritikern. „Als Ersatz für den Kommunismus“ diene jetzt „das Feindbild Ökologie“. Kurzum, er sieht sich von allen Seiten verfolgt. Auch darin ist er ein echter Messias. Ralph Bollmann