Ein Hauptmann boxt gegen Regentropfen

■ Die Flucht als Widerstand: Alfred Matusches „Regenwettermann“ im theater 89

Der Regenwettermann lebt. Während im Hintergrund Maschinengewehrsalven von der Ermordung der Juden in einem galizischen Dorf zeugen, steht ein kleiner Junge in einer viel zu großen, aber „imprägnierten Jacke“ ganz vorn an der Bühne. Es ist Frühsommer 1941, und in dieser Nacht ist sich der polnische Dani seiner jüdischen Identität bewußt geworden. Jetzt ist er Daniel, frei, dort hinzugehen „wo die Bussarde sind“.

Am Anfang der Inszenierung von Hans-Joachim Frank steht Jan Mante als Daniel noch allein im Regen, im Seitenlicht, weit hinten im bunkerartigen, schwarzen Spielraum des theaters 89. Er singt mit heller Stimme: „Ich bin der Regenwettermann / Halli, Hallo! / Und laß es regnen, was es kann“. Später schleicht sich Dani mutig zu den in der Schule einquartierten deutschen Soldaten, die aus ulkigen Reagenzgläsern französischen Sekt trinken. Anlaß ist der am nächsten Morgen beginnende Rußlandfeldzug und der Sonderauftrag, jedes erkämpfte Gebiet zu „säubern“. Auf alten Schulbänken hocken sie, mitten auf der Spielfläche, deren blecherner Boden etwas sandig ist – gleich dem Massengrab, der Sandgrube. Daniel entkommt ihr wie sein biblischer Namensvetter der Löwengrube.

Auch dem deutschen Soldaten Gleß macht der Dauerregen nichts aus; im Unterschied zum Hauptmann, der gegen die Wassertropfen boxt. Aber Gleß, ehemaliger Telegraphenarbeiter aus Leuna, steht auch immer abseits, starrt ins Leere, ist fasziniert von alten Bäumen, weißem Jasmin. In der schönsten Szene der Inszenierung stellt sich Frank Köbe als semmelblonder Proletarier breitbeinig neben den aus dem Regen kommenden Steppke, reicht ihm stumm eine Kippe, die Daniel, fast ohne zu husten, ganz mannhaft raucht.

Gleß ist erst seit wenigen Wochen Soldat und „kennt sich nicht aus“. Er beobachtet, grübelt, staunt, fragt, begreift: Warum halten die Juden in solch einer Situation nicht zusammen? Und wann beginnt man endlich, das Richtige zu tun? Gleß leidet, er ist in Gewissensnot, er kann nicht hinrichten und entzieht sich dem Befehl zur Exekution, indem er die Waffe gegen sich selbst wendet.

Menschlichkeit, Solidarität, Hoffnung – sie existieren trotz faschistischer Greuel, das ist die Botschaft des Stückes: Der Freitod als Protest, die Flucht als Widerstand. Überall sind einige, wenige, denen der Regen nichts ausmacht, die in Einklang mit der Natur leben, und der „riesenhaften Wolkenwand“ des Faschismus standhalten.

Alfred Matusche beschönigt dennoch in dem 1963 entstandenen Drama nichts. Er zeichnet die auch klassenbedingte Gefühlskälte und Brutalität der Soldaten, die Angst des polnischen Lehrers um seine halbjüdische Tochter, und die letzte durchwachte Nacht der jüdischen Totengräberfamilie: Unsentimental und anklagend.

Hans-Joachim Frank hat nicht den Fehler der Uraufführung von 1968 wiederholt und versucht, das spröde Szenarium naturalistisch auszupinseln. Er bewältigt Matusches lyrisch verknappte Sprache und schafft eine fast hörspielhafte Grundstimmung: Projizierte Zwischentitel, abrupte Beleuchtungswechsel von Seiten- zu Arbeitslicht, Regengeprassel, wenige Requisiten, mit Schauspielern, die vor allem Haltungen vorzeigen. So entsteht eine Atmosphäre, die irgendwo in der Mitte von Epischem Theater und Poetischem Realismus liegt. Und genau dort liegt Matusche richtig.

Die Inszenierung schwankt zwischen geradezu verharmlosenden satirischen Situationen und der großen tragischen Geste, zwischen Holzschnitt und Symbolismus, zwischen lyrischer Allzuschönheit und klassenkämpferischer Sonntagsbotschaft, ohne die jeweiligen Pole zu erreichen. Ein geglückter Akt der Balance. Dirk Nümann

„Der Regenwettermann“ von Alfred Matusche. Regie: Hans- Joachim Frank, Ausstattung: Anne-Kathrin Hendel. Weitere Vorstellungen: 24. bis 26., 28. 2., 1., 14., 15., 17. bis 19.3., 20.30 Uhr, theater 89, Torstraße 216, Mitte.