Härtetest: neuer Streikparagraph

■ In Bayern droht erstmals die „kalte Aussperrung“

Bochum (taz) – Beim heute beginnenden Streik kommt dem 1986 geänderten Paragraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) eine wichtige Rolle zu. Der neue 116 verhindert die Auszahlung von Kurzarbeitergeld durch die Bundesanstalt für Arbeit an vom Streik nur mittelbar betroffene Arbeitnehmer. Sollte zum Beispiel durch die Bestreikung einer Kugellagerfabrik im bayrischen Schweinfurt die Produktion bei Opel in Bochum ins Stocken geraten, dann gingen die gegebenenfalls von Opel nach Hause geschickten Arbeiter leer aus. Die Gewerkschaft spricht in solchen Fällen daher von „kalt ausgesperrten Beschäftigten“. Sie bekämen weder Streikunterstützung noch Kurzarbeitergeld. Ihnen bliebe allein der Weg zum Sozialamt.

Mit dieser Gesetzesänderung reagierte die Kohl-Regierung unmittelbar auf den letzten großen Metallerstreik im Jahre 1984. Damals sorgte der berüchtigte „Franke-Erlaß“ für helle Empörung bei den Streikenden. Heinrich Franke (CDU), der damalige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, setzte seinerzeit per Erlaß die Machtbalance außer Kraft, indem er die Auszahlung von Kurzarbeitergeld an kalt ausgesperrte Arbeitnehmer verbot. Weil dieser Erlaß jedoch von verschiedenen Sozialgerichten aufgehoben wurde, mußten die Arbeitsämter doch zahlen. Der neue 116 AFG erhebt den „Franke-Erlaß“ zur Freude der Unternehmer zum Gesetz.

Wie schwer die Änderung wiegt, zeigt der 84er Arbeitskampf. Damals rief die IG Metall 57.500 Arbeitnehmer in den Streik. Gut 170.000 Beschäftigte sperrten die Arbeitgeber direkt – „heiß“ – aus, 372.000 „kalt“. Dieser Streik kostete die IG Metall etwa 500 Millionen Mark. Hätte sie für die kalt ausgesperrten Beschäftigten zahlen müssen, wären nach Berechnungen der Stuttgarter Bezirksleitung noch einmal 859 Millionen Mark fällig gewesen. Ein Betrag, der jede Streikkasse sprengt. Einspringen kann die IG Metall für diese Gruppe – will sie streikfähig bleiben – deshalb nicht, aber sie muß gleichwohl die Wut derer befürchten, die wegen des neuen 116 ohne Geld dastehen.

Seit Jahren läuft eine Verfassungsklage gegen den Bonner AFG-Coup. Am 4. April will das Bundesverfassungsgericht (BFG) endlich entscheiden. In einem Gutachten für die NRW-Landesregierung kommt der frühere BFG-Präsident und langjährige CDU-Innenminister, Ernst Benda, zu dem Schluß, die Gesetzesänderung verletze die Eigentumsrechte der beitragszahlenden Beschäftigten und sei deshalb verfassungswidrig. Walter Jakobs