Der große Streik fängt ganz klein an

■ 11.000 Metaller in Augsburg und Nürnberg bleiben heute zu Haus / Kein neues Arbeitgeberangebot

München (AP/AFP) – Seit heute morgen 5 Uhr streiken 11.000 Metallarbeiter in Bayern. Mit Beginn der Frühschicht sind die Beschäftigten von 22 Betrieben im Ausstand. Schwerpunkt sind drei Werke der MAN AG in Augsburg mit 6.100 Beschäftigten und zwei Betriebe in Nürnberg mit zusammen 3.300 Beschäftigten. Zu weiteren Streikorten hat die IG Metall Ingolstadt, Fürth, Würzburg und Neu-Ulm erklärt. Am 1. März (Aschermittwoch) und am 6. März sollen weitere Firmen einbezogen werden.

Beim ersten Arbeitskampf in der westdeutschen Metallindustrie seit elf Jahren will die IG Metall mit feinster Streik-Chirurgie möglichst präzise operieren: Einerseits soll das Ziel der Operation erreicht werden, die Arbeitgeber spürbar zu treffen und dadurch zu einem Lohnangebot zu zwingen. Andererseits sollen schädliche Nebenwirkungen des Eingriffs vermieden werden, die den Erfolg der Operation gefährden könnten. Solch ungewollte Nebenwirkungen wären vor allem indirekte Streikfolgen, die bei Zulieferern und Abnehmern der bestreikten Betriebe zu Produktionsstillständen führen könnten. Als Druckmittel können Arbeitgeber die Beschäftigen „kalt aussperren“, auch wenn die Produktion noch weiterlaufen könnte. Die dann ausgesperrten Beschäftigten bekämen weder Lohn noch Streikunterstützung, noch Kurzarbeitergeld. Die IG Metall rechnet mit einer längeren Streikdauer.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall vertagte gestern auf seiner Vorstandssitzung in München zwar eine Entscheidung über Aussperrungen um eine Woche. Er lehnte aber zugleich jedes Lohnangebot außerhalb von Verhandlungen ab. Die IG Metall dagegen macht eine Gesprächsrunde von einem „verhandlungsfähigen Angebot“ abhängig.

Die Metallbranche steht nun wieder an vorderster Front der Tarifbewegung 1995: Bei den Tarifverhandlungen für die rund 100.000 Chemie-Beschäftigten in Hessen kam in der Nacht zu Donnerstag auch in der dritten Runde kein Pilotabschluß zustande. Nach vierzehnstündigen Verhandlungen in Niedernhausen bei Wiesbaden vertagten sich die Tarifparteien am frühen Morgen auf den 8. März. Der IG-Chemie- Verhandlungsführer Rainer Kumlehn äußerte die Vermutung, daß sich die Unternehmer der Chemieindustrie an denen der Metallindustrie orientieren. Seite 5

Foto: Andreas Herzau/Signum