Die Verzweiflungstat ist formvollendet

■ Kurz vor Abschluß des „Tanz-Winters“: Amanda Miller und Joachim Schlömer

Heute beginnt das letzte Gastspiel des Tanzwinters im Hebbel- Theater: drei Tage ist die israelische Kompanie von Liat Dror und Nir Ben Gal mit „Anta Oumri“ zu sehen. Sechs Gruppen zeigten seit dem 3. Februar Körper in allen möglichen Quer- und Schieflagen. Nicht die großen Namen an sich, wie das Nederland Dans Theater 3 oder Joachim Schlömer, waren in diesem Jahr das eigentlich spannende, sondern die sehr unterschiedlichen und höchst eigenwilligen Auseinandersetzungen mit dem Medium Tanz, die jede der Gruppen auszeichnete.

Zuletzt gastierten Joachim Schlömer, der zu Beginn dieser Spielzeit von Ulm nach Weimar umsiedelte, und die US-Amerikanerin und ehemalige Forsythe- Tänzerin Amanda Miller mit ihrer Pretty Ugly Dance Company. Amanda Miller ist in Berlin keine Unbekannte. Letztes Jahr hinterließ sie bei der Tanzplattform Bagnolet und einem anschließenden Gastspiel im Theater am Halleschen Ufer vor allem durch ihr Stück „Night by Itself“ (mit dem sie den Choreographen-Preis in Bagnolet gewann) ein ebenso fasziniertes wie verwirrtes Publikum.

Dem dämmrigen Nachtstück hat Amanda Miller die taghelle Vernunft als Thema folgen lassen: „Two Pears“, zu der Arto Lindsay die Musik komponierte, ist eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Naturphilosophien: doch wer hier klare Aussagen und unmittelbar dechiffrierbare Bilder erwartet hat, liegt falsch. Amanda Millers Tänzer stellen ein abgeschlossenes Universum von bezwingender Schönheit her, ein hochorganisiertes ästhetisches System, in dem die Tänzer wie Geisterwesen erscheinen, die ihre Körperlichkeit weit hinter sich gelassen haben.

Das Licht bleibt dämmrig. Mag auch im ersten Part des dreiteiligen Stücks die Bühne weiß ausgeschlagen sein, hell wird es an diesem Abend nie. Im letzten Teil ist es nur noch ein durch einen Spiegel aufgefangener Lichtstrahl, der die Bewegungen der Tänzer auf einer sonst völlig dunklen Bühne beleuchtet. Seit „Night by Itself“ hat die Choreographin die Entrückung und Entwirklichung ihrer Tänzer weiter voran getrieben. Die hochkomplexen, ineinander verschraubten Bewegungen sind so ätherisch und filigran, daß selbst in kraftvollen, schnellen Momenten jede Vitalität transzendiert ist.

Die Figuren scheinen nichts mehr von sich selbst, nichts von den anderen und auch nichts von ihren Körpern zu wissen. So umarmen sich im ersten Teil die Körper, ohne sich zu berühren und ohne, daß es die Tänzer überhaupt zu merken scheinen. Alles ist von so feiner Durchlässigkeit, daß das Woher und Wohin von Bewegungsimpulsen nicht mehr nachvollziehbar ist.

Im mittleren Teil klingen durch die Kostüme und Bewegungen höfische Umgangsformen an. Hier münden die Tanzsequenzen des Drehens und Wendens in Posen, in selbstbezügliche Momente des Innehaltens: Man findet sich in Gruppentableaus zum Gespräch zusammen oder begibt sich in die Haltung des Betrachtenden, aber nicht mehr der Gegenstand der Betrachtung oder des Gesprächs, sondern nur die Vertiefung in den Zustand an sich wird präsentiert. Alles ist der Vergessenheit anheimgefallen. Es bleibt nur die Attitüde – die aber ist in das Extrem völliger Entrückung getrieben. Amanda Miller entwirft eine Welt der postmodernen Zeichen, die den Zuschauer durch ihre unwirkliche Schönheit in einen trancehaften Zustand versetzt.

Dem Bewegungsfluß von Amanda Miller ging Joachim Schlömers „Orestie“-Studie voraus. Eine Arbeit, die als Experiment hochinteressant war, die aber nicht wirklich zu sich selbst gekommen ist. Es schien sich mehr um einen Versuch darüber zu handeln, wie die „Orestie“ als modernes Tanzstück funktionieren kann. Dabei ist der Choreograph allerdings durchaus fündig geworden. Er hat eine hochstilisierte, antipsychologische Bewegungssprache entwickelt, in der das Ritual von Rache und Mord zum mechanischen Spielwerk wird.

In 60 Minuten geht zu der Musik von Iannis Xenakis die antike Familienschlächterei über die Bühne, reduziert auf die wiederkehrende Mordtat. Variationen über die Monotonie des Tötens: Joachim Schlömer beschreibt eine Welt, in der jeder Schlag einen Schrei und einen neuen Schlag ergibt. Die Gesichter zu Masken geschminkt, die Körper in Tuniken gehüllt, werden durch Anleihen beim No-Theater, beim traditionellen indischen sowie dem deutschen Ausdruckstanz die sieben Tänzer und Tänzerinnen in ein Bewegungsvokabular gezwängt, dem zu entrinnen unmöglich erscheint.

Die Verzweiflungstat der Kassandra, der Auftritt der Athene, das alles ist formvollendet und entwickelt in seiner Zurückgenommenheit einiges an Kraft. Ebenso wie der Chor, der als geschlossenes Gebilde die Handlung vorantreibt, das Unglück aufzuhalten sucht und die Opfer beklagt. Das Konzept ist gut, die Tänzer sind es auch – doch spätestens nach zehn Minuten weiß man, was man für den Rest des Abends zu erwarten hat. Die Monotonie schlägt in nichts anderes um, sie stellt keinen anderen Zustand her – außer dem der Langeweile. Michaela Schlagenwerth

„Anta Oumri“: heute bis Montag, 20 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg.