Ich will so bleiben, wie ich bin

■ Die einen kämpfen gegen ihre Pfunde, andere zeigen Selbstbewußtsein und arrangieren sich damit / Viele füllige Frauen umhüllen sich mit schicken Fummeln und fühlen sich wohl

Kordula Weber wog 1990 stolze 110 Kilo. Nach zwei Geburten hatte die damals 25jährige noch das gleiche Gewicht wie in der Schwangerschaft. „So willste nicht enden“, sagte sie sich. „Immer, wenn ich was gegessen habe, haben die Leute geguckt.“ Sie fand keine vernünftigen Sachen zum Anziehen mehr, die anderen ließen sie spüren, daß sie aus der Norm fällt. Sie hatte es auch satt, als lieb und nett, aber nicht besonders durchsetzungsfähig angesehen zu werden. Auch die Überzeugung, daß Männer nun mal auf schlanke Frauen stehen, spielte keine unwesentliche Rolle.

Nach etlichen Mißerfolgen mit Diäten und der Angst vor einem Magengeschwür entschloß sie sich, bei Weight Watchers mitzumachen. Innerhalb von drei Monaten hat sie 75 Pfund abgenommen. Mit jedem verlorenen Kilo sei ihr Selbstbewußtsein gestiegen, erzählt sie. Das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber dem eigenen Körper sei verschwunden. Kordula Weber ist nicht nur bei ihrem Gewicht, sondern auch bei den Weight Watchers geblieben – als Gruppenleiterin.

Martina Geschke* dagegen hat keine Lust mehr auf Diäten. „Ich habe alles mögliche gemacht“, sagt sie. Aber irgendwann hat sie es aufgegeben. Sie wollte sich ihr Leben nicht mehr mit Kalorienrechnereien „vergällen“. Sie steht zu ihrer Konfektionsgröße 50 und sieht zu, daß sie ihr Gewicht hält. „Viele machen sich was vor“, sagt sie. „Die haben Größe 50 und sagen im Geschäft 46.“ Martina Geschke hat sich mit ihren Pfunden arrangiert und lebt gut damit. Vor einem halben Jahr war sie zum erstenmal in der Nürnberger Straße bei „Extrabreit“ – einem der wenigen Geschäfte in der Stadt, die Blusen, Kleider, Hosen, Jacken und Pullover von Größe 44 bis 60 verkaufen. Seitdem sie von einer Verkäuferin zu einer Bluse „verführt“ wurde, kommt sie regelmäßig.

Nichts haßt Martina Geschke mehr, als in Modeboutiquen von „furchtbar gestylten Püppchen von oben bis unten betrachtet zu werden“ und dann zu hören: „In Ihrer Größe haben wir nichts.“ Im „Extrabreit“, wo eine der beiden Verkäuferinnen Konfektionsgröße 56 trägt, fühlt sie sich wohl. Dort wird sie nicht schief angeguckt, sondern beraten. Obwohl die zweite Verkäuferin, Isolde Becker, Größe 40 trägt, weiß sie, worauf es bei ihrer Kundschaft ankommt: Kurzärmelige Blusen müssen lang genug sein, um dicke Oberarme zu verdecken, die Blusen müssen „fließen“. Besonders gefragt seien Kombinationen. Blusen, Jacken und Röcke, die nach Belieben miteinander kombiniert werden können. „Das verführt die Damen.“

Martina Geschke will Sachen, auf denen „keine Jahreszahl draufsteht“. Zeitlose, aber keine langweilige Kleidung. „Ich muß mich wohlfühlen. Dann läuft der Tag ganz anders.“ Nachdem sie sich für eine längs- und quergestreifte Jacke in Naturfarben und eine grüne Hose entschieden hat, verläßt die attraktive Frau das Geschäft. „Jetzt muß ich erst einmal Geld für den nächsten Einkauf verdienen.“

Über Kundschaft kann sich Isolde Becker nicht beklagen. „Wir boomen“, sagt sie. Sogar das nahegelegene Kaufhaus des Westens schickt des öfteren Frauen zu ihr. Von den 1.100 Stammkundinnen tragen die meisten Konfektionsgrößen zwischen 48 und 52. Vereinzelt seien auch 60er Größen dabei. „Die werden aber immer weniger“, sagt sie.

Eine schlanke Frau sucht ein Mitbringsel für ihre indische Freundin in London. „Die hat Hüften, da kann man alles mögliche drauf abstellen“, beschreibt sie die füllige Frau. Besonders problematisch sei, daß sie obenrum Größe 50 habe, aber um die Hüften herum 52. Immer wenn diese sie fragt „Bin ich wirklich so dick?“, zieht sie sich diplomatisch aus der Affäre, indem sie sagt: „Na, oben bist du etwas weniger dick.“

Schließlich entscheidet sie sich für eine „vollkommen unverfängliche“ Weste. „Da kann sie alles drunterziehen“, freut sie sich. Sie weiß jetzt schon, daß die indische Freundin die Schulterpolster mit den Worten „Du mit deinen ewigen Schulterpolstern“ kommentieren wird. Und sie wird wie immer erwidern: „Ach, du mit deinen runden abfallenden Schultern.“ Barbara Bollwahn

* Name von der Red. geändert