Drogenfreier Urin ist in Tegel Gold wert

■ Konzept der „drogenfreien“ und „drogenbelasteten“ Bereiche im Tegeler Knast verschärft Drogenproblematik

Stefan B. fühlt sich bedrängt. Drogenabhängige Mitgefangene wollen seinen Urin kaufen. Da er selbst keine Drogen nimmt, ist sein sauberer Urin Gold wert. Denn er öffnet Häftlingen, die wegen ihres Drogenkonsums in den hundert Jahre alten Gemäuern der Häuser I, II und III untergebracht sind, „die Tür ins kleine Paradies“.

Gemeint sind die Neubauten IV, V und VI der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel, die als sogenannte „drogenfreie“ Bereiche mit besserer Unterbringung und längeren Aufschlußzeiten ein Anreiz für Drogenabhängige sein sollen, mit der Sucht aufzuhören. Nach Einschätzung des Insassenvertreters sind jedoch mehr als zwanzig Prozent der angeblich drogenfreien Gefangenen „gutgetarnte“ Drogenabhängige. Die Gesamtinsassenvertretung (GIV) der JVA Tegel kommt in ihrem Jahresbericht zu dem Schluß, daß das 1993 vom Senat beschlossene Konzept gescheitert ist. Nach dem Motto „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ werden seit einem Jahr die Gefangenen in „drogenfreie“ und „drogenbelastete“ Bereiche aufgeteilt. Der Versuch, den Drogenmißbrauch „durch Sanktionen zu bekämpfen“, sei in weiten Bereichen „völlig mißlungen“, so das Fazit der Insassenvertretung. Mindestens vierzig Prozent der derzeit 1.514 Gefangenen seien drogenabhängig.

Die Senatsverwaltung für Justiz will weiterhin an dem Modell festhalten. Doch die Trennung der „guten“ und „bösen“ Gefangenen existiert nur auf dem Papier. Von den knapp 1.000 Insassen der „drogenbelasteten“ Teilanstalten sind etwa die Hälfte „ohne aktuelle Betäubungsmittelproblematik“, muß die Sprecherin der Senatsverwaltung für Justiz, Uta Fölster, einräumen.

Der Insassenvertreter von Haus III schreibt in seinem Bericht sogar, daß in den sogenannten drogenfreien Häusern der „Hauptstandort des anstaltseigenen Drogenhandels“ ist. Die „wahren Leidtragenden“ seien die Nichtkonsumenten. Aufgrund der Überbelegung werden sie in den „drogenbelasteten“ Häusern „zwischengelagert“, wo sie dann ständig mit Drogen in Berührung kommen. „Wo Süchtige in der totalen Überzahl sind, haben Nichtkonsumenten wenig zu melden“, so das Fazit eines Drogenabhängigen aus Haus II.

Der Neid unter den Insassen wegen der „Zweiklassengesellschaft“ könne, „wenn sich die Situation nicht zum Positiven ändert“, erneut zu einem Streik führen. Und der Eindruck vieler Gefangener, „eh nichts mehr verlieren zu können“, könne eine „ungeheuerliche Brutalität“ nach sich ziehen. Als Beweis werden die 350 Gramm Sprengstoff angeführt, die im letzten Jahr in der Anstalt gefunden wurden.

Nur in einem Punkt läßt die Insassenvertretung ein gutes Haar an der Neustrukturierung: Die Drogenstation, wo Ausstiegswillige entziehen können, sei der „gelungenste“ Teil der Umstrukturierung. Die 56 Plätze jedoch sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Barbara Bollwahn