Der Klassiker des Teenagers

Durch ein 2:1 im Rückspiel gegen England (Hinspiel 4:1) erreichten die deutschen Fußballerinnen das Finale der Europameisterschaft  ■ Aus Bochum Matthias Kittmann

So mancher Spielerin wird, noch mit den letzten Stretchingübungen befaßt, der Schreck in die Glieder gefahren sein. Plötzlich ging die Tür auf, und Kanzler Kohls familienpolitische Geheimwaffe, Claudia Nolte, betrat die Kabine. Müssen jetzt auch die Fußballspielerinnen Kinder kriegen? Zm Glück ließ die Ministerin diesmal ihr Lieblingsthema aus. Sie wollte den „Damen“ nur viel Glück fürs Halbfinal-Rückspiel der 6. Europameisterschaft gegen England wünschen. Daß sich die Damen zum 25jährigen Bestehen ihres Sports jetzt Frauen nennen dürfen, war zwar noch nicht in die Politik vorgedrungen, aber die Kickerinnen sind es gewöhnt, daß ihre Anerkennung ein Geduldsspiel ist.

Gemessen daran, daß Frauenfußball bis 1971 noch vom Deutschen Fußball-Bund Adenauerscher Prägung verboten war, ist es jetzt ein echter Fortschritt, zum 25jährigen Jubiläum eine eigene Ehrennadel und einen Wimpel zu bekommen, auf dem auch die eigenen Erfolge stehen. Gerade rechtzeitig, denn in diesem „Super-Meisterschaftsjahr“ können die Fußballerinnen ihre bisherigen zwei EM-Titel von 1989 und 1991 ergänzen um eine weitere Europameisterschaft und die WM.

Nach dem Hinspielerfolg in England mit 4:1 war das Halbfinal- Rückspiel eigentlich nur noch eine Formsache, wäre da nicht die harte interne Qualifikation für die 20 Plätze im Team. Denn das Bundestrainerduo Gero Bisanz und Tina Theune-Meyer hat eine Auswahl wie nie zuvor. Wie stark das Team wirklich ist, bewies es gerade in seinem etwas schwächeren Spiel gegen England. Noch unter dem Eindruck des Besuchs von Claudia Nolte, waren die Spielerinnen noch gar nicht richtig im Bilde, als England nach 20 Sekunden mit 1:0 in Führung ging. Das schnellste Tor der Länderspielgeschichte. Das Rezept war klassisch britisch: Anstoß, Kopfballduell im Mittelfeld gewonnen, zwei, drei Schritte und Schuß aus 20 Metern.

Es blieb die einzige nennenswerte Torchance der Gäste, „der Rest war Verteidigung“, wie Trainer Terry Copeland später einräumte. Doch mit dieser Defensive hatten die deutschen Frauen einige Mühe. Besonders im zentralen Mittelfeld erwischten Bettina Wiegmann vom Pokalsieger Grün- Weiß Brauweiler und Rekordnationalspielerin Silvia Neid vom Meister Siegen nicht ihren besten Tag. Zu umständlich verteilten sie die Bälle. Auch hatte die taktische Maßnahme, die beste Stürmerin, Heidi Mohr vom TuS Ahrbach, hinter den Spitzen agieren zu lassen, für einige Irritationen gesorgt. Sie hatte zwar viel Raum auf der rechten Seite, doch das Spiel lief über links, nachdem eine andere Spielerin die Mittelfeldschwäche erkannt hatte und selbst die Initiative ergriff.

Das ist die Stärke dieses hochkarätig besetzten Teams: Jede Spielerin kann, wenn es darauf ankommt, Impulse geben. In diesem Fall war es Dagmar Pohlmann vom FSV Frankfurt, der einzig verlustpunktfreien Mannschaft in der Bundesliga. Dieses Team stellt allein sieben Nationalspielerinnen, schießt pro Spiel fünf Tore und weiß also, wie man ein vernünftiges Angriffsspiel aufzieht – über die Flügel. Unterstützt von der offensiven Linksverteidigerin Anouschka Bernhard (FSV) zog Pohlmann nun das Spiel an sich und bediente Martina Voss (Rumeln-Kaldenhausen) mit verwertbaren Bällen. Innerhalb von zehn Minuten zum Ende der ersten Halbzeit entstanden vier brandgefährliche Situationen vor dem englischen Tor, und daß ein Eigentor von Louise Waller für den Ausgleich sorgte, war nur eine Randnotiz. Hätte sie den Ball nicht selbst ins Tor geköpft, hätte es die hinter ihr stehende Birgitt Austermühl, ebenfalls Frankfurt, getan.

Zur zweiten Halbzeit präsentierten Bisanz und Theune-Meyer ihren nächsten Joker: die 17jährige Birgit Prinz, die zusammen mit ihrer gleichaltrigen Kollegin Sandra Smisek beim FSV Frankfurt als „Teenage Sturm“ das zweitbeste Angriffsduo der Liga bildet. Lassen ihr die Gegnerinnen in der 20-Meter-Zone vor dem Tor auch nur drei Meter Freiraum, kann ihren dynamischen Antritt niemand mehr aufhalten. Das 2:1 in der 79. Minute war ein Klassiker aus dieser Sammlung. Bundestrainer und -trainerin bleibt bis zum EM-Finale am 26. März – gegen Norwegen oder Schweden – und bis zur WM nur noch ein schwieriges Problem: Wen sollen sie aus diesem Kader aussortieren?