Ich möchte lieber nicht

Von Lösungen, die nach Problemen suchen: Was Literatur mit neuer Managementtheorie gemeinsam hat  ■ Von Stefan Hesper

Postheroisches Management, diesen Namen schlägt der Soziologe Dirk Baecker als Deckname für zahlreiche Veränderungen in der Managementtheorie der letzten Jahre vor. An die Stelle von hierarchischer Organisation, von Kontrolle, Zentralisierung und straffer Planung treten „menschliche Werte“: Kontakte schaffen, Phantasie entzünden, Lust an der Überraschung behalten, größere und heterogene Entscheidungseinheiten bilden. In 58 Stichworten, häufig in Form einer knappen Rezension zu aktuellen Beiträgen aus der Betriebswirtschaft, der Managementtheorie und Organisationssoziologie, diskutiert Baecker den überfälligen Modellwechsel von der Regelungs- und Steuertheorie des klassischen Konkurrenzkapitalismus (abgekürzt: Kybernetik 1. Ordnung) zur Theorie der Netzwerke, der produktiven Ungewißheiten und der „Wahrnehmung marginaler Gelegenheiten“ des Informationskapitalismus (Kybernetik 2. Ordnung). Es geht nicht um die Humanisierung der Arbeitswelt, um freundlich gestaltete Werkhallen, psychologisch geschulte Personalführung und Ökologie, sondern um die neue Ökonomie des Handelns mit Informationen und die aktuellen Fähigkeiten, „andere zur Mitarbeit anzuregen“.

Zahlreiche Firmenzusammenbrüche, Fehlkalkulationen sowie die weltweite Rezession der letzten Jahre haben dazu beigetragen, an der Effizienz der Befehlsstrukturen in Betrieben, an der langfristigen Organisation und Planung von Produkten und Dienstleistungen zu zweifeln. Aus der Schule Luhmanns kommend, sieht Baecker in der Systemtheorie und ihrer Lust an der Auflösung von Paradoxien, Ungewißheiten und Komplexitäten eine Möglichkeit, alte Kontroll-Vorstellungen ad absurdum zu führen und Gegenentwürfe (Chaosmanagement etc.) übersichtlich zu sortieren und einzuschätzen. Man erhält also nicht nur einen Einblick in die aktuellen Auseinandersetzungen um das richtige Management, sondern zugleich auch in das Funktionieren des systemtheoretischen Begriffsapparates.

Gemanagtes Chaos

Drei Elemente des neuen Managements seien dabei herausgegriffen: Die Organisation, das Management und die Beschäftigten. Die Vorstellung einer Organisation als Werkzeug zur Lösung bestimmter Probleme wird abgelöst durch die Organisation als flexibler Körper, der sich seine Zwecke und Strukturen selbst gibt und fortlaufend ändern kann. „Organisationen sind Ansammlungen von Lösungen, die nach Problemen suchen, ein Durcheinander von Themen und Gefühlen, die Entscheidungssituationen suchen, in denen sie Ausdruck finden können, und ein mehr oder weniger strukturierter Haufen von Entscheidungsträgern, die nach Arbeit, Einfluß und Selbstverwirklichung suchen.“ Man sucht Fragen, die die eigene Kompetenz beantwortet, und man braucht Irritation und enttäuschte Erwartungen, um zu lernen. „Macht mehr Fehler und macht sie schneller. Denn woraus sollt ihr sonst etwas lernen?“, zitiert Baecker den Management-Theoretiker Tom Peters. Es geht auch für Industriebetriebe darum, „von anderen Organisationen wie Universitäten, Guerillaeinheiten oder Filmproduzenten lernen zu können, wie man mit Ungewißheiten umgehen kann, die nicht etwa unter den Teppich gekehrt, sondern auf den Schild gehoben werden.“

Die Figur des heldenhaften und einsamen Managers wird in diesem Entwurf aufgelöst. Er ist nun eher Künstler als Technokrat, jemand, der sich überraschen läßt, ein Gespür für das Notwendige, das Unvermeidliche und das Unvorhersehbare hat. Wichtiger als Geschäftsberichte sind ihm „Gerüchte, Spekulation, Hörensagen“. Der postheroische Manager ist ein Krieger auf dem Markt, aber ein taktischer und kein strategischer, der ohne Gewalt, aber mit List und Witz in den Markt eindringt.

Baecker berührt, und damit kommt man zu den Angestellten, einen bemerkenswerten Indifferenz- oder Konvergenzpunkt zwischen dem neuen Management und Vorstellungen einer Macht- Kritik, wie sie aus der Kulturtheorie der letzten zwanzig, dreißig Jahre bekannt sind. Das mag mit dazu beigetragen haben, ihn in das Merve-Programm aufzunehmen. Die Darstellung von postheroischen Managern und kreativen Angestellten bei Baecker überschneidet sich mit Vorstellungen eines ebenso autonomen wie dissidenten Verbrauchers (bei Michel de Certeau in der „Kunst des Handelns“ zum Beispiel), der ebenfalls individuelle Taktiken einsetzt, um sich geschmeidig vor Kontrollwünschen und Organisationsphantasien retten zu können. Der Postheroismus im Wirtschaftsleben entspricht immer mehr den Dissidenz-Wünschen der Konsumenten. Eine „unheimliche Komplizenschaft“, der Baecker leider nicht nachgeht.

Bartlebys Phlegma

Management ist die Fortsetzung der Literatur mit anderen Mitteln, insofern auch hier mit der Fähigkeit zum Wechsel der Perspektiven experimentiert wird. Bartleby, eine Figur aus einer Geschichte von Herman Melville, ist für ihn „die Wahrheit des Kollapses, den wir jeden Tag aufschieben, und damit die andere Seite unserer Wahrheit.“ Angestellt als Kopist in der Kanzlei eines New Yorker Anwaltes an der Wall Street, entwischt Bartleby allen ihm unliebsamen Aufträgen mit einem: „Ich möchte lieber nicht.“ Er sagt nicht „Nein“ oder: „Ich will nicht“, sondern immer wieder diese seine Formel: „Ich möchte lieber nicht“, mit der er seine Kollegen zur Wut und seinen Vorgesetzten in eine nachdenkliche Verzweiflung treibt. Wie hilft also diese Formel gegen das postheroische Management, wie kommt sie ihm in die Quere?

Der Philosoph Gilles Deleuze ist dem Geheimnis dieser Formel nachgegangen, indem er auf die Rätselhaftigkeit und Nicht-Willkürlichkeit des Lieber-nicht- Möchten aufmerksam macht: Bartleby weist zurück, ohne zu verweigern, ohne etwas anderes zu bejahen oder zu verneinen und bleibt so unbezwingbar, gleichsam schwebend. „Nur durch ein Kreisen in einem Aufschub, das jeden auf Abstand hält, kann er überleben.“ Bartleby macht sichtbar, was die Sprache an Gehorsam und Entscheidungen schon voraussetzt. Der menschenfreundliche, postheroische Anwalt beginnt an seiner Autorität zu zweifeln und läßt sich zugleich von dem Geheimnis der Formel infizieren. Er ist der Prüfstein für jeden Philanthropismus, für jeden Versuch, Einfluß auszuüben und Macht über Menschen zu behalten. Für Deleuze zerbricht in diesem Experiment die Vater- Funktion des Anwaltes und erzeugt eine „Ungewißheitszone“, von der aus andere Arbeits- und Lebensformen denkbar werden: Eine (amerikanische) Gemeinschaft, die mit Originalität umgehen kann, „ohne ihr Heil zu suchen, wenn sie ihre tatsächliche Reise ohne besonderes Ziel unternimmt und dann dem anderen Reisenden begegnet, den sie am Klang wiedererkennt.“ Bartleby ist „nicht der Kranke, sondern der Arzt eines kranken Amerika, der Medizin-Mann“, der den Knacks und seinen Verlauf zeigt. Die Studie von Deleuze fügt sich damit ein in sein Projekt der Untersuchung der kritischen Möglichkeiten der Literatur. Bartleby ist der Ernstfall des neuen Managements. Die Kühle des „Ich möchte lieber nicht“, die aus dem Munde von Konsumenten und Angestellten zu kommen droht und Reformen verunmöglicht, ist im Sinne der neuen Managementtheorie Anlaß zur produktiven Irritation und zur Entdeckung von „Ungewißheitszonen“. Daß dieser schnelle Blickwechsel zwischen Management und Literatur, Systemtheorie und Deleuze möglich ist, zeigt aber auch die außerordentliche Qualität der Arbeit von Baecker, ganz im Sinne der vorgeschlagenen Werte Italo Calvinos für das nächste Jahrtausend.

Dirk Baecker: „Postheroisches Management. Ein Vademecum“, Merve-Verlag 1994, 175 S., 20 DM

Gilles Deleuze: „Bartleby oder die Formel“, Merve-Verlag 1994, 60 S., 10 DM