■ Aufhebung eines Todesurteils gegen Christen in Pakistan
: Minderheiten als Freiwild

Ein einziger Kläger, der gleichzeitig der einzige Augenzeuge sein darf, genügt in Pakistan, um ein Todesurteil zu erreichen. Hat eine Klage etwas mit dem Islam zu tun, dann werden die Strafen unverhältnismäßig, und die Wahrheitsfindung hängt buchstäblich von der Gutgläubigkeit von Kläger und Angeklagtem ab. In einem islamischen Land wie Pakistan ist der gute Glaube der Islam, und Vertreter religiöser Minderheiten sind Ungläubige: Vor dem Richter sind sie nicht mehr gleich. Traditionelle Rechtsnormen mit ihren mittelalterlichen Strafen – Handabschlagen, Zungeausreißen, Enthauptung – könnten in einer homogenen muslimischen Gesellschaft notdürftig verteidigt werden. Aber in einem Land religiöser Minderheiten und Sekten wird eine islamische Gesetzgebung zur Guillotine für Andersgläubige.

Dies gilt besonders für Pakistan, wo die Geschichte des „Blasphemie-Paragraphen“ ausdrücklich eine Spitze gegen „Ungläubige“ zum Vorschein bringt. Der fragliche Artikel im Strafgesetzbuch (295c) wurde nämlich von General Zia al-Haq nach 1980 eingeführt, als er die wachsende Opposition gegen seine Militärdiktatur durch eine Flucht in die Islamisierung zu verhindern suchte. Wo der Paragraph früher Blasphemie gegen jede Religion verbot, spitzte ihn Zia auf die Beleidigung des Propheten zu, und er verschärfte sie mit der Todesdrohung.

Selbst aufgeklärte Richter haben Mühe, universelle Rechtsnormen durchzusetzen, denn seit 1992 setzt die Verfassung fest, daß für alle religiösen Vergehen die Sharia die letzte Instanz ist, und deren Interpretation obliegt den traditionellen Hütern der Religion. Im gleichen Jahr wurde der Paragraph 295c gleichzeitig verschärft: Wo ein Richter früher noch die Wahl zwischen lebenslänglicher Haft und dem Strang hatte, gilt seit 1992 zwingend die Todesstrafe. Diese letzte Gesetzesänderung wurde von einem demokratisch gewählten Parlament durchgeführt. Auch Benazir Bhutto wagt es nicht, die Mullahs anzugreifen. Selbst ihre höchst vorsichtige Kritik am Todesurteil gegen die beiden Christen, noch gemildert durch die Versicherung, sie habe an sich nichts gegen den Blasphemie-Paragraphen, machte sie sogleich zur Zielscheibe wütender Angriffe. Und ihr Justizminister mußte einen Versuch, prozedurale Aspekte der religiösen Gesetze zu verbessern, angesichts breiter Opposition im Parlament fallen lassen.

Daß die Willkür übrigens nicht bei den Nicht-Muslimen haltmacht, zeigt das Beispiel des international anerkannten Entwicklungshilfe-Pioniers Akhtar Hameed Khan: Der greise Muslim mußte sich über ein Jahr lang gegen die Beschuldigung wehren, er habe in einem Kindervers den Propheten beleidigt. Die Justizhetze war von einem ehemaligen Angestellten der Organisation angezettelt worden, den Khan wegen Veruntreuung entlassen hatte. Bernhard Imhasly