"Das große KZ namens ,DDR'"

■ Gesichter der Großstadt: Der Schriftsteller Siegmar Faust (50) hat einer ehemaligen SS-Wärterin zur Entschädigung verholfen und sieht sich nun als Opfer linker Verschwörung

Als Mitte Januar die Mitglieder der antistalinistischen „Gedenkbibliothek“ über einen von der taz aufgedeckten Fall diskutieren sollten – eine ehemalige SS-Wärterin war auf Betreiben der Bibliothek als „Opfer des Stalinismus“ entschädigt worden –, war die Öffentlichkeit zunächst unerwünscht. Statt die Rolle der beiden Fürsprecher der Wärterin, Ursula Popiolek und Siegmar Faust, zu hinterfragen, wurden die „Schuldigen“ schnell gefunden: die Medien, allen voran die taz. Siegmar Faust, dem von den Mitgliedern der Bibliothek ausdrücklich das Vertrauen ausgesprochen wurde, verteilte kurz darauf eine 35seitige Rechtfertigung, in der er sich als Opfer einer linken Verschwörung vermutete: „Bin ich in eine von Stasi-Seilschaften vorbereitete Falle geraten?“ interpretierte er die Berichterstattung der taz.

Als „Opfer der Linken“ hat man – gleichgültig, wes Geistes Kind man selbst ist – Anspruch auf Solidarität. Vor allem bei Bürgerrechtlern. Als in der vergangenen Woche bekannt wurde, daß „gegen den Schriftsteller Siegmar Faust“ (Faust) und Ursula Popiolek Brandanschläge verübt worden seien, kam die Reaktion prompt: „Derartige Anschläge stillschweigend zu dulden“, schrieben einige Bürgerrechtler in einer Erklärung, „trägt zur Gewaltakzeptanz als Mittel politischer Auseinandersetzung bei.“

Im Falle des angeblichen Brandanschlags gegen Faust war es freilich der Betroffene selbst, der zunächst stillschwieg. Erst zwei Tage später berichtete er in einem Brief an die Abgeordnete des Neuen Forums Irina Kukutz eher beiläufig über „seine Feinde“, die ihn „mit einem Brandanschlag einzuschüchtern suchten“. Kukutz hatte zuvor das Verhalten der Gedenkbibliothek kritisiert. Zwei Tage später hieß es dann in einer Pressemitteilung Fausts, daß „Unbekannte mit einem Manuskript, das er zu seiner Verteidigung geschrieben hatte, sowie mit aus dem Briefkasten des Schriftstellers entwendeter Post im Hausflur“ ein Feuer anzündeten, „das dann vor allem durch brennende Fahrradreifen einen beißenden Qualm verursachte“. Eine Anzeige bei der Polizei hatte Faust nicht erstattet.

Daß nicht brennende Ausländerwohnheime, sondern qualmende Fahrradreifen, mithin marodierende Linke das Weltbild bestimmen können, weiß man spätestens seit dem „Berliner Appell“. Im Duktus Kalter Krieger beklagten sich dort Rechtsradikale, neue Rechte und ehemalige Linke, daß „vier Jahre nach der Wiedervereinigung“ und der nunmehrigen „Wiederkehr des Sozialismus in Deutschland“ unter der Parole des Antifaschismus „eine Hexenjagd auf Konservative und demokratische Rechte betrieben“ werde. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderen Ursula Popiolek und Siegmar Faust.

Der Goethefreund und Autor Siegmar Faust, mit bürgerlichem Namen Kayenberg, wurde nach mehreren Knastaufenthalten in der DDR 1976 von der Bundesregierung freigekauft. Kurz nach der Wende war er wieder in den Osten zurückgekehrt und bot sich laut Wochenpost in einem Brief an Helmut Kohl an, eine „geistige GSG- 9-Truppe“ aufzustellen. Faust wurde Vizepräsident des Dokumentationszentrums zur Aufklärung der SED-Verbrechen und Mitarbeiter des Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Martin Gutzeit.

Seinen Job bei Gutzeit ist Faust seit dem Skandal um die Gedenkbibliothek los. Für Faust wohl ein weiterer Beleg für die Hexenjagd der Linken. Ginge es nach ihm, müßten nicht SS-Aufseherinnen ihre Vergangenheit aufarbeiten, sondern der Autor der taz-Enthüllung, Andreas Schreier, der sich durch seinen Dienst bei der NVA im „großen KZ namens ,DDR‘“ als „Ja-Sager“ schuldig gemacht habe. Was Faust als Opfer „ehemaliger Stasi-Seilschaften“ verschweigt: Schreier war einer derjenigen, die am Runden Tisch zur Stasi-Auflösung und bei der Besetzung in der Normannenstraße wesentlich zur Debatte um die Stasi- Verbrechen beigetragen haben.

Für Fausts Weltbild kein Problem: Ob für oder gegen Stasi, der Feind steht links! Und „linke bis linksextremistische Zeitungen“ wie die taz hätten nicht nur „eine beispielslose Hetzkampagne“ gegen ihn entfacht, sondern auch den angeblichen Brandanschlag auf dem Gewissen. Noch immer freilich kann sich Siegmar Faust unter Hinweis auf den „antitotalitären Konsens“ der Unterstützung durch Bürgerrechtler sicher sein. Noch immer werden über einen – wenn er stattgefunden hat – verurteilenswerten Anschlag mehr Worte verloren als über den schleichenden Versuch, durch die Vergleiche zwischen dem Faschismus und dem „großen KZ namens ,DDR‘“ nicht nur SS-Wärterinnen zu entschulden, sondern davor zu warnen, die „freiheitlich-demokratische Grundordnung durch eine ,antifaschistisch-demokratische‘ Grundordnung zu ersetzen“.

Bislang hat nur Bärbel Bohley davon gesprochen, daß auch der Entschädigungsfall in der Gedenkbibliothek eine Art von Gewalt sei. Uwe Rada