Alle Konfliktparteien in einem Boot

■ In Berlin gibt es bundesweit die einzige Clearingstelle, die in Konflikten zwischen Jugendlichen und Polizei vermittelt / SozialarbeiterInnen sind noch skeptisch / Konkurrenz unter den Vereinen ist...

Die Idee ist bestechend, und ihre Umsetzung verspricht Erfolg. Seit knapp einem Jahr gibt es – bundesweit einmalig – in Berlin eine Clearingstelle, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, sowohl in Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen als auch bei Konfrontationen zwischen Jugendlichen und der Polizei zu vermitteln. Träger dieser Clearingstelle ist das Sozialpädagogische Institut (SPI).

Damit das Schiff nicht ohne Lotsen durch die aufgewühlte See schippert, ist eine „Steuerungsrunde“ mit allen an der Arbeit beteiligten Stellen eingerichtet worden. Alle vier Wochen treffen sich Vertreter der Landeszentralstelle für Jugendsachen beim Landeskriminalamt, der Senatsverwaltung für Jugend und Familie, des SPI sowie der Clearingstelle zum Gespräch. Die Probleme könnten so gleich mit den richtigen Ansprechpartnern diskutiert werden, hebt Stephan Voß, Chef der Clearingstelle, den Vorteil dieser Runde hervor.

Die Konfliktmanager der Clearingstelle arbeiten zweigleisig. Auf der einen Strecke wird versucht, in Informationsveranstaltungen die unterschiedlichen Berufsrollen von Polizisten und Sozialarbeitern abzustecken sowie Berührungsängste abzubauen. Deren Aufgaben – Integration einerseits und Strafverfolgung andererseits – dürften nicht verwischt werden, so Stephan Voß. „Es ist wichtig, die Vorurteile, die es über die jeweils andere Seite gibt, durch Kennenlernen und Gespräche abzubauen.“ Die Polizei müsse so sensibilisiert werden, daß sie bei Ermittlungen in Jugendklubs nicht zu rabiat vorgeht, sonst würde sie die Klubs „verbrennen“ – was in der Sozialarbeitersprache heißt, daß sich die Jugendlichen zumachen und nichts mehr annehmen, erklärt Jörg Meese-Baumert von der Clearingstelle.

Auf der anderen Strecke vermitteln die Manager der Clearingstelle in aktuellen Konflikten. Dabei gehe es vor allem darum, Strafanzeigen zu verhindern, „rechte“ und „linke“ Jugendgruppen zu trennen oder Jugendklubs vor allzu massiven Ermittlungen der Polizei abzuschirmen, erklärt Renate Haustein von der Clearingstelle.

Ein Beispiel: Seit Monaten gibt es zwischen „rechten“ und „linken“ Jugendliche einer Kneipe und eines Jugendklubs regelmäßig Schlägereien. Die Leiterin des Jugendklubs ist verzweifelt. Der Klub ist akut gefährdet, der Anruf bei der Polizei die letzte Möglichkeit. Die Polizei jedoch informiert die Clearingstelle, weil nach ein paar Stunden Polizeigewahrsam die Schlägerei wieder von vorne losging. Die Konfliktstrategen der Clearingstelle bringen die Jugendlichen, den Kneipier, die Jugendklubleiterin und das Jugendamt an einen Tisch. Ein „Friedensvertrag“ besiegelt erst einmal das Ende der Verhandlungen. Ob dieser Vertrag hält, was er verspricht, ist ein Vabanquespiel, räumt Jörg Meese-Baumert ein. „Wir geben keinerlei Informationen weiter, wir sind der neutrale Mittler zwischen Polizei und Jugendlichen“, betont Renate Haustein von der Clearingstelle. „Damit unsere Arbeit Erfolg hat, dürfen wir uns weder zwischen die Stühle setzen noch von einer Seite vereinnahmen lassen.“

Zwar ist dieser Ansatz nicht das Ei des Kolumbus der Konfliktforschung, Vermittlungsgespräche, „runde Tische“ und Deeskalationsstrategien sind in der Sozialarbeit nichts Neues. Was jedoch das Konzept der Clearingstelle so erfolgversprechend aussehen läßt, ist die Vernetzung verschiedener am Konflikt beteiligter Parteien an einem neutralen Ort.

Um einen Konflikt zu beenden, reicht manchmal einfach der Griff zum Telefonhörer. Der Clearingstelle wird gemeldet, in einem Hauseingang gehe es hoch her. Einige Jugendliche hätten sich dort breitgemacht, dröhnten sich die Birne zu und randalierten. Der Hauswart droht mit einer Strafanzeige. Mit einem Anruf beim Berliner Streetworkerverein Gangway e.V. durch die Clearingstelle konnte der Konflikt gelöst werden. „Wir haben die Konfliktlage erklärt und gefragt, ob dort nicht jemand vorbeischauen und eine Strafanzeige verhindern kann“, erzählt Renate Haustein. Die Streetworker konnten.

Ein weiteres Beispiel zeigt, wie vielfältig die Hilfe sein kann. Ein 22jähriger Kroate wird von einer Berliner Jugendgruppe aus Exjugoslawien herausgeholt. Schon an der Grenze gibt es Schwierigkeiten. Sein Name steht auf der Fahndungsliste von Interpol. Er versucht den Beamten zu erklären, daß ihm sein Ausweis vor Monaten gestohlen wurde und er nicht der von Interpol gesuchte Mann sei. Die Grenzbeamten machen einen Vermerk und lassen ihn passieren. Eine Anzeige wegen Falschparkens bringt die ganze Sache wieder ins Rollen. Der Kroate wird festgenommen. Erst durch die Vermittlung der Clearingstelle konnte erreicht werden, daß in die Datei des Polizeicomputers ein entsprechender Vermerk aufgenommen wurde, der ihn vor künfigen Festnahmen schützt.

Die Entstehung der Clearingstelle geht auf das Scheitern einer anderen Idee zurück. Die Kriminalpolizei wollte ursprünglich mit Hilfe von Geldern aus dem Senatsprogramm „Jugend mit Zukunft“ zwei Sozialarbeiter bei der Polizei ansiedeln. Daraus ist nichts geworden. Keiner der angesprochenen freien Träger in der Jugendhilfe wollte sich in eine so enge Allianz mit der „Gegenseite“ begeben. Nur unter der Bedingung eines vollkommen anderen Konzepts signalisierte dann das Sozialpädagogische Institut als Träger Interesse. So wurde die Clearingstelle eingerichtet.

Euphorie darüber ist bei vielen Sozialarbeitern nicht zu spüren. Es besteht, was die Clearingstelle betrifft, erhebliches Mißtrauen. Elvira Brandt, Geschäftsführerin des Streetworkervereins Gangway e.V., bringt die Skepsis auf den Punkt: Viele Sozialarbeiter hätten Angst, daß durch die Zusammenarbeit mit der Polizei diese an Informationen kommt, die der Arbeit mit den Jugendlichen schaden. Die Konkurrenz untereinander sein nun mal groß, so Elvira Brandt. Und große Träger wie das SPI würden da mißtrauisch beäugt. Nichtsdestotrotz sei das Konzept ein guter Ansatz zur Lösung von Gewaltproblemen in dieser Stadt.

Noch steckt die Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei in den Kinderschuhen. Michaela Eck