Sanssouci
: Nachschlag

■ Alle Jahre wieder: Die Berlinerin beim schwäbischen Fasching

Volle Kelche und scheppernde Blasmusik. Taumelnde Herzen und rauschende Sinne. Bunte Jecken und strahlende Funkenmariechen. Hölzerne Masken, zischende Weidenhörner und ohrenbetäubende Ratschen. Die Vertreibung böser Geister? Symbolische Darstellung eines Kampfes der Jahreszeiten? Winter ade, Frühjahr juchhe? Von wegen! „Nix als verordneter Frohsinn“, erklärte ich Annette, die ich vor Jahren einmal flüchtig kennenlernte. Worauf sie hellauf empört konterte: „Freude von innen“. Wer Annette heute anruft, wird auf ihrem Anrufbeantworter ein inbrünstiges „Helau!“ hören. Drei Tage wird ihr akademischer Schwermut im Alkohol baden, 362 Tage bleibt sie diszipliniert. So ist Annette.

Fasching ist ein Fest, das die kupferrothaarige Ex-Berlinerin jedes Jahr in der Weinstube einer schwäbischen Kleinstadt verbringt. Ausgerechnet. Dann erfreut sie sich mit der schwerhörigen Frieda, der kittelbeschürzten Dame mit der Hornbrille und dem Hütchen, die den Alkohol ausschenkt und die Faschingsgäste unbekümmert vollquasselt, ja beinahe totredet. Man muß es gesehen haben: Annette tänzelt mit Frieda vor der Theke. „Wie in Köln“, schwäbelt Frieda und heizt die Gäste lauthals an. Auf den Bänken schunkeln angemalte Frauen und Männer, Menschen jedweder Couleur. Rechtsanwälte, Unternehmerinnen, Friseusen und sogar der Bürgermeister – alle mit aufgequollenen Augen und grölenden Mündern. Gelsenkirchener Barock ziert die Kneipenwände, an denen Gästefotos hängen. Eines mit Oskar Lafontaine. „Hier“, erklärte mir Annette bei meinem ersten und einzigen Besuch in der Kneipe, „kannst du dein Gesicht nicht verlieren.“ Annette hatte das gerade ausgesprochen, als sich die gußeiserne Garderobe mit einem riesigen Jackenwust von der Wand löste und mich für einige Sekunden unter sich begrub. „Helau!“ brüllten die Gäste und lachten sich halb kaputt. Menschen sind leicht zu erheitern, ja.

Annette und ich verließen die lustige Faschingsrunde. Nacht und Nebel lagen über der schwäbischen Kleinstadt. Auf einer Bank pausierte ein ziemlich dicker Mann. Er hatte sich als Seemann verkleidet, trug eine blaue Kappe und einen langen Bart. „Hört mal gut zu“, lallte er uns hinterher, „ich bin kein Penner, nicht daß ihr denkt, ich sei ein Penner.“ Dann verstummte der Mann. Heute Nacht wird auch die Blasmusik verstummen. Die Lampen werden erlöschen. Morgen ist Aschermittwoch. Auch in Schwaben. Annette wird aufstehen. Sie wird sich an die schönen Stunden mit Frieda erinnern. Niemand wird Zeichen auf ihre Stirn malen. Dennoch, um es mit Heinrich Heine zu sagen: „Weib, bedenke, daß du Staub bist.“ Tomas Niederberghaus