■ Tour d'Europe
: Staatsbürger und andere Paßbesitzer

In Osteuropa ist die doppelte Staatsbürgerschaft bisher noch die Ausnahme. Die meisten Staaten haben ihr Staatsbürgerschaftsrecht von den kommunistischen Rechtssystemen geerbt und seither allenfalls kosmetisch verändert. Häufig geht die Rechtstradition, wie in Polen und den baltischen Staaten, sogar auf die Paragraphen der Zwischenkriegszeit zurück. Deshalb gibt es in Osteuropa juristisch zugelassene Doppelstaatsbürgerschaften bisher fast nur bei Emigranten. Polen erkennt Landsleute polnischer Abstammung, die in Frankreich, den USA, Deutschland oder auch in Kanada, Indonesien und Australien die dortige Staatsbürgerschaft angenommen haben, weiter als seine Bürger an, wenn sie imstande sind, ihre Abstammung nachzuweisen. Bei den ersten halbwegs freien Wahlen von 1989 durften deshalb in den Konsulaten von Moskau bis Washington auch Menschen ihre Stimme abgeben, die sich statt mit einem Paß nur mit einer Geburtsurkunde oder einer Veteranenbescheinigung ausweisen konnten. Hintergrund: Viele der antikommunistischen Emigranten waren von den kommunistischen Machthabern in absentio ihrer polnischen Staatsbürgerschaft beraubt worden. Viele andere hatten es unter ihrer Würde gefunden, sich von einem kommunistischen Botschafter einen Paß der Volksrepublik ausstellen zu lassen – zumal sie ohnehin einen Paß ihrer neuen Heimat hatten.

Eine Ausnahme gibt es dabei allerdings: Polen aus der ehemaligen Sowjetunion haben es nicht so leicht. Zwischen den ehemaligen Ostblockstaaten existieren weiter jene Vorschriften, die besagen, daß zwischen der Abgabe der einen und der Annahme der zweiten Staatsbürgerschaft eine Karenzzeit von fünf Jahren liegen muß. Auf diese Weise werden Doppelstaatsbürgerschaften verhindert. Die Forderung taucht trotzdem immer wieder auf: 1991/92 in einem Memorandum des polnischen Außenministeriums für die in Litauen lebende polnische Minderheit, jetzt bei den russisch-ukrainischen Verhandlungen, wo sie die russische Seite für ihre Minderheit in der Ostukraine verlangte.

Bei dem jüngsten Treffen zwischen Jelzin und Kutschma wurde vereinbart, daß die Ukraine die doppelte Staatsbürgerschaft nicht einführen wird. Dahinter steckt die Furcht, wie auch in vielen anderen osteuropäischen Staaten, daß mit ihrer Einführung die Gefahr separatistischer Strömungen seitens grenznaher Minderheiten wächst. So ist es auch auf der Krim. Dort gibt es Anhänger einer doppelten russisch-ukrainischen Staatsangehörigkeit und einer doppelten ukrainisch-krimschen. Beides ist noch Zukunftsmusik, die meisten Bewohner der Halbinsel sind zwar ethnische Russen, aber ukrainische Staatsbürger. Doch richtige Doppelstaatsbürger sind sie damit noch lange nicht: Der Staat, der hinter dem roten Paß stand, ist in der Zwischenzeit abhanden gekommen.KB/ML