■ Ein 28 Jahre alter Bankangestellter verspekuliert sich, eine 233 Jahre alte Bank macht pleite, und die Finanzwelt rumort: Crash der Aktienkurse in Tokio, Crash des Pfundkurses, böse Folgen für...
: Ein Yuppie läßt die Börsen krachen

Ein 28 Jahre alter Bankangestellter verspekuliert sich, eine 233 Jahre alte Bank macht pleite, und die Finanzwelt rumort: Crash der Aktienkurse in Tokio, Crash des Pfundkurses, böse Folgen für die britische Wirtschaft und das Privatkonto der Queen

Ein Yuppie läßt die Börsen krachen

„Die aristokratischste Spielhölle der Welt“ – so nannte der Wirtschaftsexperte Alex Brummer das englische Bankhaus Baring's, das in der Nacht zum Montag unter Zwangsverwaltung gestellt wurde. Der Zusammenbruch der ältesten Investmentbank Großbritanniens, bei der auch Königin Elisabeth ihre Privatkonten führt, hat weltweit die Kurse purzeln lassen.

Es war offenbar ein einzelner, der die Bank geknackt hat: Der 28jährige Nick Leeson war bei der Baring-Niederlassung in Singapur angestellt. Ohne Genehmigung der Mutterbank hatte er in den vergangenen Monaten mehr als 20.000 Terminkontrakte gekauft. Sein riskantes Spiel basierte auf der Annahme, daß der Tokioter Börsenindex Nikkei-225 steigen würde. Leeson hatte sich verkalkuliert: Der Index fiel. Nun wird Leeson von der Polizei gesucht. Es heißt, er habe sich nach Kuala Lumpur abgesetzt – gerade noch rechtzeitig: Seine Terminkontrakte, die Baring's zum Kauf verpflichten, werden im März fällig. Dann wäre die Sache ohnehin herausgekommen.

Die Verluste sollen umgerechnet rund 1,15 Milliarden Mark betragen. Am Sonntag gaben sich die Direktoren aller großen britischen Banken bei der Bank von England die Klinke in die Hand, um mit dem Notenbankpräsidenten Eddie George einen Überlebensplan für Baring's aufzustellen und ein Chaos an den Finanzmärkten zu verhindern – vergeblich: Gestern ging es an den Aktienmärkten abwärts. Am stärksten ist der Ferne Osten betroffen, wo Baring's dicker im Geschäft ist als jede andere britische Bank.

Aber auch an den europäischen Börsen und selbst in Australien fielen die Kurse. Das britische Pfund mußte ebenfalls für Leesons Glücksspiel büßen: Der Kurs fiel gestern auf das Rekordtief von 2,3041 Mark – rund drei Pfennige unter dem Kurs vom Freitag. Wenn jetzt eine Flucht aus der britischen Währung einsetzt, würde es mit Sterling rapide bergab gehen. Aufzuhalten wäre der Sturz dann nur durch eine Erhöhung der Zinsen.

Der Kollaps der Bank hat zu einem Vertrauensverlust mit weitreichenden Folgen geführt. Die letzte Phase der Strom-Privatisierung könnte sich als Flop erweisen, und die Umwandlung der ältesten britischen Chemiefirma Albright and Wilson, die umgerechnet knapp eine Milliarde Mark einbringen sollte, ist in Frage gestellt. Unruhe herrscht auch bei Wellcome, dem pharmazeutischen Unternehmen, das sich zur Zeit gegen eine feindliche Übernahme durch Glaxo wehrt: Baring's Bank ist die Beraterin von Wellcome.

Das ist aber noch nicht alles. Derivate, wie Leesons riskante Geschäfte heißen, sind Zeitbomben: Das gesamte Ausmaß des Schadens läßt sich wohl erst später abschätzen. „Wir stehen am Rande eines schwarzen Finanzlochs“, orakelt Ian Perkin von der Handelskammer in Hong Kong.

Bezahlen müssen am Ende womöglich die britischen SteuerzahlerInnen, weil die Bank von England Baring's nicht hängen lassen kann. Schon einmal, vor hundert Jahren, mußte man einspringen, als sich die Privatbank mit argentinischen Krediten die Finger verbrannt hatte.

Die jüngste Krise hat die Diskussion um Derivate gestern wieder angeheizt. Allein im vergangenen Jahr sind die deutsche Metallgesellschaft, Gibson Greetings, Procter and Gamble, Atlantic Richfield, der kalifornische Regierungsbezirk Orange County und Glaxo mit Derivaten auf die Nase gefallen. Die Bundesbank verlangte von den Finanzinstitutionen letzten März, daß sie endlich Kontrollen einbauen, die einen Überblick über Derivatgeschäfte erlauben.

Von Baring's Bank war gestern nichts zu erfahren. Bei der Bank sind 4.000 Menschen angestellt, die Hälfte davon in London. Das durchschnittliche Einkommen liegt bei rund 100.000 Pfund im Jahr. Die Familiengeschichte der Baring's, deren Vorfahren die Bank im Jahr 1762 gegründet haben, liest sich wie ein Führer durch den englischen Adel. Es wimmelt nur so von Baronen und Grafen. Lady Rose Baring, die Mutter des derzeitigen Vorsitzenden Peter Baring, war früher Kammerdienerin der Königin.

Nick Leeson wird sich hüten, wieder aufzutauchen, wenn er gestern englische Zeitungen gelesen hat: Er ist nicht nur der Buhmann der internationalen Finanzwelt, sondern hat darüber hinaus das englische Königshaus finanziell geschädigt. Ralf Sotscheck, Dublin