Verfahrenstricks

■ Erörterungsverfahren zu Tiergartentunnel begann / Bauverwaltung: Autotunnel ist "Tieferlegung einer Straße"

Das Erörterungsverfahren, mit dem seit gestern die Bedenken von 18.000 Berlinern gegen die geplanten Eisenbahn-, U-Bahn- und Autotunnel unter dem Tiergarten abgewägt werden sollen, droht zur Farce zu werden. Während die Verkehrsverwaltung als zuständige Anhörungsbehörde den im Lichtenberger Congress Centrum erschienenen etwa 160 Einwendern nur zwei Mikrofone zur Verfügung stellte, konnten die Tunnelbauer – Bauverwaltung und Deutsche Bahn AG – faktisch jederzeit in die Diskussion eingreifen. Die Anhörungsbehörde hatte sich darüber hinaus am Rand des Podiums plaziert, so daß Bauverwaltung und Bahn in der Mitte saßen. Einwender warfen der Verkehrsverwaltung vor, sie wolle offensichtlich die Tunnelplaner zum „Herr des Verfahrens“ machen.

Rechtsanwalt Reiner Geulen, der mit der „Anti-Tunnel-GmbH“ ein Bündnis von 50 Umwelt-, Verkehrs- und Bürgerinitiativen in Rechtsfragen vertritt, hatte den gesamten Tag über Anträge gestellt, die häufig auf die Einstellung des Erörterungsverfahrens und auf die Neuauslegung der Unterlagen der 4,5 Milliarden Mark teuren Tunnelanlagen zielten. Die Verkehrsverwaltung lehnte bis Redaktionsschluß selbst Anträge ab, mit denen auch jene Bürger die Möglichkeit für die Teilnahme an dem Verfahren erhalten sollten, die bei der Verkehrsverwaltung keine Einwände erhoben haben.

Diskussionsleiter Rüdiger Herke provozierte aber nicht nur Unmut im Publikum, weil er mehrmals die Ablehnung von Anträgen nicht begründete. Der Vertreter der Anhörungsbehörde würgte teilweise Redner ab und bediente die Rednerliste zeitweise in undursichtiger Reihenfolge. Nachdem man sich bis zum frühen Nachmittag mit Verfahrensfragen beschäftigt hatte, begann das Abarbeiten der 18.000 zum Teil pauschalen Einwendungen nach Themen sortiert.

Die Anti-Tunnel-GmbH kritisierte, daß nicht das Land Berlin, sondern die Bahn die vom Gesetz vorgeschriebene sogenannte Planfeststellung für den Autotunnel beantragt habe. Durch diesen „Verfahrenstrick“ sei den in Berlin anerkannten Naturschutzverbänden die Möglichkeit verwehrt, gegen den Beschluß zu klagen. Rechtsanwalt Geulen bezeichnete die Übertragung der Zuständigkeit für den Autotunnel von der Bauverwaltung zur Bahn AG als „unheilbar rechtswidrig“.

Justitiar Michael Losch von der Senatsbauverwaltung widersprach der These, daß es sich bei dem Straßentunnel um einen Neubau handelt: „Hier geht es um die bloße Tieferlegung einer Bundesstraße.“

Anwalt Geulen warf Bauverwaltung und Bahn auch vor, daß die Umweltverträglichkeit der Tunnel nicht geprüft und alternative Verkehrsführungen nicht untersucht worden seien. Mit beiden Versäumnissen werde sogar gegen europäisches Recht verstoßen, so daß gegen die Tunnel nun vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt werden könne. Bauverwaltung und Bahn widersprachen erwartungsgemäß Geulens Argumentation: Die Umweltauswirkungen seien untersucht und alle rechtlichen Voraussetzungen berücksichtigt worden. Die Anti-Tunnel- GmbH will dennoch wegen Rechtsverstößen und Rechtswidrigkeit klagen. Dirk Wildt