■ Die UNO beendet ihre Somalia-Mission
: Legenden und Wirklichkeit

Wie eine beleidigte Kolonialmacht verlassen die Vereinten Nationen Somalia, und mit dem Abzug entstehen viele Legenden: ein Land, das nicht auf eigenen Beinen stehen könne; ein fürchterliches Scheitern der UNO, die Somalia in einem schlimmeren Zustand als vorher zurückließe; ein undankbares Volk ohne verantwortliche Führer, das jetzt selber sehen könne, wo es bleibe; eine verlorene Hoffnung darauf, daß noch irgendwo in der Welt eine auswärtige Macht Ordnung schaffen könnte. Nichts davon ist wahr. Daß die UNO in Somalia das Gegenteil einer humanitären Intervention praktiziert hat, ist kein Beweis dafür, daß humanitäre Interventionen nicht funktionieren. Die aus der Ablehnung der Zusammenarbeit mit somalischen Gruppen entstandene Verweigerung von Hilfe kann nicht als Beweis dafür gelten, Hilfe sei nicht möglich – jede Hilfsorganisation, die fernab von Blauhelmen ihre Arbeit tut, belegt das Gegenteil.

Aber Legenden produzieren zuweilen ihre eigene Wirklichkeit. Die US-Evakuierungsaktion von Mogadischu ist Generalprobe für den aller Voraussicht nach bevorstehenden UNO-Abzug aus Kroatien, dem die Vereinten Nationen entgegen aller Zusicherungen auch den Abzug aus Bosnien folgen lassen wollen – und auch in diesem Fall wird der undankbare Kroate der selbstlosen Welt gegenübergestellt, die nur das Beste wollte. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, hat UN-Generalsekretär Butros Ghali gerade auch mit dem Rückzug der 85 UN-Beobachter aus dem Bürgerkriegsland Liberia gedroht, da die Liberianer unbeeindruckt weiterkämpften – und erwähnt nicht, daß entwaffnungswillige liberianische Milizionäre von Waffensammelstellen der von der UNO unterstützten westafrikanischen Eingreiftruppe oftmals wegen Überfüllung abgewiesen worden sind.

Intervenierende können nicht viel bewirken. Sie können dennoch viel falsch machen. Das somalische Volk ist eine dezentralisierte Clangesellschaft, wo Familienbande mehr zählen als abstrakte Politik; zu keinem Zeitpunkt war das Sicherheitsgefühl der Somalis davon abhängig, ob und mit welcher Absicht sich gerade UNO-Soldaten in der Nähe befanden – sieht man von jenen unheilvollen Sommermonaten des Jahres 1993 ab, in denen die UNO-Militärführung in Mogadischu Zivilisten als „Schutzschilde“ für den Milizenchef Aidid ansah und zum Abschuß freigab. Wenn die UNO-Helden sich beim Rückzug schon gebärden wie geschlagene Eroberer, sollten sie wenigstens bedenken, daß die „richtigen“ Kolonisatoren viel mehr von der Bedeutung „vertrauensbildender Maßnahmen“ bei der Inbesitznahme eines fremden Landes wußten und sich beim Aufbau ihrer Herrschaft Jahre, oft Jahrzehnte Zeit ließen.

In Somalia wiederholte sich die Kolonialtragödie Afrikas als Farce. Man kann froh darüber sein, wenn die UNO keine Spuren hinterläßt... Dominic Johnson