Keine KZ-Aufseherin

■ betr.: „Brandsätze gegen Gedenk stätten-Mitarbeiter“ und „Polizei zweifelt“, taz vom 20. und 21. 2. 95

Zunächst möchte ich Ihnen danken, daß Sie als eine der wenigen Zeitungen über die Brandanschläge gegen die früheren Vorstandsmitglieder der „Gedenkbibliothek für die Opfer des Stalinismus“, Ursula Popiolek und Siegmar Faust, berichtet haben. Nach meinem Eindruck berichten viele Zeitungen nur über rechtsextremistische Gewalttaten, während der antifaschistische Terror immer noch ein Tabu-Thema ist. Daher auch Dank für Ihren Mut, mit dem Sie sich ja unter Ihren Lesern nicht nur Freunde machen, sondern vielleicht sogar selbst terroristischen Anschlägen aussetzen. Leider enthält der zweite Artikel vom 21. Februar einige Irrtümer, die ich gerne richtigstellen möchte.

1. Popiolek und Faust sind nicht „aus dem Vorstand entlassen worden, weil sie sich für die Entschädigung der ehemaligen KZ-Aufseherin Margot Pietzner eingesetzt“ und von Frau Popiolek Geldgeschenke entgegengenommen hatten. Nach bisherigem Kenntnisstand war Frau Pietzner keine KZ- Aufseherin, sondern dienstverpflichtete Aufseherin in einem Arbeitslager der Arado-Flugzeugwerke. Nach bisherigem Kenntnisstand hat sie keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Sie wurde von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Straflager verurteilt und war zehn Jahre inhaftiert. Dafür hat sie von der „Bundesstiftung für ehemalige politische Häftlinge“ eine Haftentschädigung von 64.350 DM bekommen. Rechtsgrundlage war das „1. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz“. Man kann dieses Gesetz kritisieren. Ich empfinde es sogar als skandalös. Aber Popiolek und Faust haben mit dieser Haftentschädigung nichts zu tun; sie hätten auch gar keine Möglichkeit gehabt, die Entscheidung der Bundesstiftung zu beeinflussen. Beide haben jedoch die Schwachheit besessen, von Frau Pietzner private Geldgeschenke anzunehmen. Das ist zwar strafrechtlich nicht zu beanstanden, aber die Mitgliederversammlung des Vereins Gedenkbibliothek hat beschlossen, die Leitung der Bibliothek und den politisch verantwortlichen Vorstand organisatorisch zu trennen. Frau Popiolek bleibt Leiterin der Bibliothek, handelt aber ausschließlich auf Weisung des Vorstandes. Faust ist schon seit längerem nicht mehr in der Gedenkbibliothek angestellt.

2. Der Staatssschutz der Berliner Polizei geht sehr wohl davon aus, daß die Anschläge gegen Popiolek und Faust gerichtet waren und hält sie auch keineswegs für „sehr laienhaft“. Es waren auch keine anderen Personen die Geschädigten, sondern z.B. der Vater von Frau Popiolek, dessen Auto völlig verbrannte, und das Ehepaar Popiolek selbst, dessen Auto bei dem Anschlag beschädigt wurde. Der Anschlag fand morgens um 5.30 Uhr statt. Nur einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken, daß das Feuer rechtzeitig entdeckt wurde und nicht von dem brennenden Auto auf das Wohnhaus der Familie übergriff. Es trifft auch nicht zu, daß „weder Popiolek noch Faust ... Anzeige erstattet“ haben; beide haben Anzeige erstattet.

3. Daß Bärbel Bohley die „fehlende öffentliche Aufklärung“ des Entschädigungsfalls als „eine andere Art der Gewalt“ bezeichnet hat, verstehe ich nicht. Ich habe davon gehört, daß es in der DDR üblich war, öffentliche Schuldbekenntnisse abzulegen. Dann hat etwa die Belegschaft einstimmig irgendeine Strafe beschlossen. In einer demokratischen Gesellschaft ist so etwas schwer vorstellbar, auch wenn Frau Bohley diesen Persönlichkeitsschutz für „eine andere Art von Gewalt“ hält. Immerhin mag es sie trösten, daß Siegmar Faust fristlos gekündigt wurde und jetzt arbeitslos ist. Herr Popiolek befindet sich wegen eines Nervenleidens in der Charité. Frau Popiolek ist ebenfalls krank und am Rande ihrer Kraft. Ich finde, sie verdienen unsere Solidarität. Dr. Achim Günther