■ Daumenkino
: Movie Days

„Papa, bist du ein Kommunist?“ fragt der kleine Tómas. „Wie kommst du denn darauf?“ Tómas: „Du kaufst keinen Fernseher.“

„Movie Days“ erzählt eine ganz normale Familiengeschichte auf Island, die in den frühen sechziger Jahren stattgefunden haben könnte. Hauptdarsteller ist Tómas, der neunjährige Sohn der Familie, der wie seine Alterskameraden von den neuen Medien fasziniert ist. Nur gelegentlich gelingt es der Wirklichkeit, den neuen Reiz zu übertreffen. „In Nummer 47 vögeln sie!“ ruft ein Freund von Tómas, und ein Dutzend Kinder klebt an einer Schlafzimmerscheibe.

Während die einen stolz ihr Auto polieren, rennt Onkel Úlfúr mit einem Schild „Yankee go home“ herum. Die Kinder spielen Kino in einer alten Garage. Der Höhepunkt der Kinosaison für Tómas' Familie ist der Streifen „Hitler – die letzten Tage“. Die Cousine seiner Mutter spielt darin eine Krankenschwester – allerdings nur für zehn Sekunden. „Das war alles?“ nörgeln die Verwandten enttäuscht. Aber es war doch eine Hauptrolle, behauptet die Mutter. Schließlich habe ihre Cousine Hitler persönlich eine tödliche Dosis Blausäure injiziert.

Schließlich wird Tómas zu seinen Verwandten aufs Land geschickt, ohne Fernseher und Film. Die „neuen Medien“ sind nur in Form eines alten Radios präsent. Die Bauernfamilie lauscht gebannt den sonderbaren Sätzen, die das Gerät von sich gibt: „Liebes, es hat versteckte Augen.“

Vor dem Zubettgehen erzählt der Opa dem Tómas die alte Drangey-Saga von der bösen Trollfrau, die einem kleinen Jungen den Arm abriß. „Das ist doch gar nichts“, erwidert der Kleine frech, „ich habe einen Film gesehen, mit Nazis, da warf einer eine Granate, und dann flogen ganz viele Fleischstücke herum ...“ Angesichts dieser respektlosen Erwiderung sieht sich der Opa gezwungen, die Drangey-Saga um eine Sequenz zu erweitern: „Das war noch nicht alles ... dann riß die Trollfrau dem Jungen nämlich die Eier ab!“

Als reitendes Omen im schwarzen Gewand kommt ein Fremder (Otto Sander) daher, fragt nach der nächsten Kirche, hinterläßt Verwirrung und Beunruhigung und verleiht nebenbei dem Film die mystische Note. Das Omen erfüllt sich dann in der Nachricht vom Tode Tómas' Vater. Während in der Schlußsequenz von „Movie Days“ der Horrorfilm „The Crawling Hand“ über die Kinoleinwand läuft – Mutters Cousine hat in diesem Streifen endlich eine richtige Hauptrolle –, knabbert Tómas fasziniert sein Popcorn. Als schließlich die krabbelnde Horrorhand den Hals der Cousine im Würgegriff umklammert, erstarrt auch seine Hand in der Popcornschachtel. Wolfgang Müller

„Movie Days“; Regie: Frédérik Thór Frédériksson; Island, Dänemark, Deutschland 1994.