Auf den Oppositionsbänken lauert die Frauenfrage

Ob die Frauen im Bundestag mehr zu bieten haben als ihre Kollegen, wird sich zeigen. Die Voraussetzungen für einen frischen Wind aus der Frauenecke sind jedenfalls gar nicht so schlecht.  ■ Von Mechtild Jansen

„Geschlossen handeln“, „eigene Gestaltung“, rufen SPD- Frauen. „Klare Opposition“, „Opposition mit konstruktivem Charakter“, verlangen die Grünen. „Opposition ist wichtigste Aufgabe“, hallt es bei der PDS. Schlagworte verkünden sie kaum anders als Männer – die Frauen im neuen Bundestag.

Erstmals sind sie keine machtlose Minderheit mehr. Zahlreicher und stärker denn je sitzen sie nun in drei miteinander konkurrierenden Fraktionen. Wenn die Flickschusterei für Frauen ein Ende nehmen soll, so stehen neue Weichenstellungen ins Haus: der Umbau für eine gerechte Arbeitsgesellschaft, die Neukonstituierung eines modernen Sozialstaates und die Schaffung der Grundlagen für so individuelle wie soziale Lebensformen. Sind die Politikerinnen der Opposition darauf vorbereitet?

In der SPD-Fraktion sind die Frauen mit 32,9 Prozent der Abgeordneten und 33 Prozent der Funktionen präsent. Damit ist die für Mandate seit 1994 von 25 Prozent auf 33 Prozent erhöhte Quote erfüllt. Die 86 SPD-Frauen verteilen sich nicht mehr nur auf „frauentypische“ Politikfelder. Die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Anke Fuchs und Ingrid Matthäus-Maier sind für Umwelt, Verkehr und Wirtschaft beziehungsweise Haushalt und Finanzen zuständig. Drei der acht Vorsitzenden von Bundestagsausschüssen, die die SPD stellt, sind Frauen. Edith Niehuis sitzt dem für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vor, Ulrike Maschner dem für Arbeit und Sozialordnung und Edelgard Bulmahn dem für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Als Sprecherinnen von SPD-Arbeitsgruppen wurden Herta Däubler-Gmelin für Rechtspolitik und Heidi Wieczorek-Zeul für Europapolitik gewählt. Die SPD-Fraktion hat eine Querschnittsgruppe Gleichstellung, deren von der Fraktion (wieder-)gewählte Vorsitzende Ulla Schmidt qua Amt in der Geschäftsführung vertreten ist. Sie verfügt nach eigener Einschätzung über großen Freiraum. Sie hat kein formelles, aber ein faktisches Vetorecht, notfalls wird ein Streit in der Fraktion entschieden. Die Querschnittsgruppe lädt wöchentlich zu einer Frauenrunde ein, auf der frau miteinander berät, sich strategisch koordiniert und den Zusammenhalt pflegt. Noch vor dem Sommer soll eine gemeinsame Klausurtagung stattfinden.

Edelgard Bulmahn ist optimistisch: „Als Querschnittsthema spielt die Frauenfrage eine größere Rolle, in allen Politikbereichen sind wir mit mehreren Frauen vertreten, überall werden frauenspezifische Aspekte eingebracht, und es ist selbstverständlicher, daß Frauen Funktionen wahrnehmen.“ Christel Hanewinkel, Sprecherin der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend, meint: „Das Machtbewußtsein der Frauen in der Fraktion ist sehr viel größer geworden. Die Männer können sich eine Abwesenheit wie im Vorjahr bei der Abstimmung um den Paragraphen 218 nicht mehr leisten.“ Ihr Konkurrenzproblem haben sie und die vorherige Sprecherin Hanna Wolf gelöst, indem die Ostfrau den Vortritt bekam und die fachliche Arbeit geteilt wird.

Ulla Schmidt will an einer Gleichstellungspolitik festhalten, die mit wirksamen Instrumenten und Kompetenzen bis in die freie Wirtschaft reicht und Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frau und Mann garantiert. Obwohl in der letzten Legislaturperiode die Regierungsmehrheit ihr Gleichberechtigungsgesetz verabschiedete, will sie den Gesetzentwurf der SPD erneut in den Bundestag einbringen und zugleich, auch in Zusammenarbeit mit anderen, fortlaufend Einzelanträge stellen, um CDU und FDP in die Ecke zu treiben. So sollen Wirtschaftsförderung und öffentliche Auftragsvergabe an Frauenförderung gebunden, per Gesetz 50 Prozent der Ausbildungsplätze für Mädchen reserviert, „geringfügige“ Beschäftigungsverhältnisse abgeschafft, die Benachteiligung Alleinerziehender im Steuerrecht unterbunden, ein neues Konzept für eigenständige Alterssicherung vorgelegt, das Arbeits- und Strukturförderungsgesetz zugunsten gezielter Frauenförderung fortentwickelt werden.

Edelgard Bulmahn will in ihrem bislang männerdominierten Ausschuß einen gesellschaftlichen Dialog über Zukunftsfragen initiieren. „Die Gleichstellung der Frau ist dabei von übergreifender Bedeutung. Die Frauen sind an der wissenschaftlichen Entwicklung und Anwendung von Technik zu beteiligen. Lehre und Forschung, Bildung und Ausbildung brauchen einen neuen Schub aus der Politik.“

Christel Hanewinkel möchte Frauenpolitik vorrangig mit Arbeitsmarktpolitik kombinieren. Die Gestaltung eines gerechten Familienleistungsausgleichs gehört ebenso zu ihren politischen Zielen, wie die Förderung des Wohnungsbaus und die Berücksichtigung von Kinder- und Jugendinteressen in der Politik. Entscheidend seien nicht die Titel von Ministerien, sondern deren Kompetenzen wie Vetorecht oder Quotierungen. „Es gibt weiterhin einen knallharten Machtkampf auf allen Ebenen. Ich frage mich, wie da andere Wahrnehmungsmöglichkeiten der Männer geschaffen werden können. Es ist wohl nach wie vor ein Befreiungskampf der Frauen nötig.“

Bei den Grünen sind die Frauen mittlerweile sogar in der Mehrheit. Von 49 grünen Bundestagsabgeordneten sind 29 weiblich. Das sind immerhin 57 Prozent. Zudem sind die Frauen nun in allen männlichen Domänen präsent. Kristin Heyne ist Koordinatorin des Fraktions-Arbeitskreises für Wirtschaft, Finanzen, Wissenschaft und Technologie, Michaele Huststedt für Umwelt und Verkehr, Andrea Fischer für Frauen, Arbeit, Soziales und Gesundheit. Stellvertretende Koordinatorinnen sind Christa Nickels für Inneres, Recht und Petition und Angelika Köster-Loßack für Außenpolitik, Menschenrecht und Abrüstung. Im Bundestagsausschuß Forschung und Technologie sitzt Elisabeth Altmann, im Innenausschuß Antje Vollmer, im Rechtsausschuß Kerstin Müller, im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Marieluise Beck, im Auswärtigen Ausschuß Waltraud Schoppe, im Verteidigungsausschuß Angelika Beer und im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Uschi Eid. Für manche schien sich da jede eigene Frauenstruktur schon zu erübrigen. Bei unveränderter Gültigkeit des Partei-Frauenstatus inklusive 50-Prozent-Quote sieht die Fraktionsgeschäftsordnung dieser Legislaturperiode nun als einzige eigenständige Struktur alle sechs Wochen eine Frauenvollversammlung vor den Fraktionssitzungen und eine zweiköpfige Stabsstelle bei der Fraktion vor. Die Vollversammlung soll der Debatte, Konzeptions- und Strategieentwicklung unter den Frauen dienen. Bei Bedarf stellen sie ein informelles Meinungsbild her. Im Prinzip aber sollen Frauenthemen ebenso Sache der Gesamtfraktion sein, feministische Politik ihr Querschnittsthema.

Rita Grießhaber, in offener Abstimmung gegen ihre Konkurrentin Irmingard Schewe-Gerigk siegreiche frauenpolitische Sprecherin, erklärt, frau habe „keine Frauenecke“ haben wollen. Ein „Minderheitenschutz“ sei nun nicht mehr nötig. Die Männer würden, so ihre Einschätzung, auf die neue Mehrheit überaus gelassen reagieren. Schließlich hätten sie ja auch bereits einige Erfahrung im Umgang mit einem hohen Frauenanteil. Nun müßten sich die Frauen noch weiter „austesten und entwickeln“. Unter anderem müßten die Frauen lernen, „nun mit einer neuen Ebene der Konkurrenz untereinander umzugehen“. Rita Grießhaber, seit langem dem eher pragmatisch orientierten Flügel der frauenbewegten Grünen zugehörig, setzt auf eine aktive Einmischung in die parlamentarische Arbeit. Sie hat sich entschieden für einen grünen Alternativentwurf für ein Beratungsgesetz eingesetzt, ohne deshalb die Forderung nach Streichung des Paragraphen 218 fallenzulassen.

Marieluise Beck, Sprecherin der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik meint, innerfraktionell gäbe es immer noch eine schleichende Dominanz des Patriarchats und zuwenig Toleranz und bewußte Entscheidung unter Frauen für Frauen. „Im Tandem geraten die Frauen faktisch in die Stellvertreterfunktion. Das ist so eine Mischung aus Zuschreibung und Selbstannahme, eine Art Virus, der Männer faktisch potenter macht.“

Marieluise Beck weiß, daß es „stumpf“ wäre, das Alte wiederholen zu wollen, das die Grünen einst mit Quote, Feminat und Antidiskriminierungsgesetz vollbracht haben. „Dem politischen Alterungsprozeß kann man nicht entgehen. Vor zehn Jahren haben wir zu einem hohen Anteil von Symbolen gelebt, heute kommen wir um einen Aufdifferenzierungs- und Umsetzungsprozeß nicht herum.“ Angesichts finanzieller Knappheiten seien sowohl für den Arbeitsmarkt als auch für die sozialen Sicherungssysteme neue Prinzipien nötig. Ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit selbst mit Rückkehrrecht helfe zum Beispiel nur begrenzt, wenn keine gesellschaftliche Umlage für eine dadurch reduzierte Rente erfolge. Marieluise Beck will eine Enquetekommission für eine Neuregelung des Arbeitsvertragsrechts fordern.

Die PDS hat 43 Prozent beziehungsweise 13 Frauen bei 17 Männern im Bundestag. Die Frauen sind noch stärker in den klassisch weiblichen Bereichen zu finden, doch mit Andrea Lederer und Barbara Höll auch im Auswärtigen und Finanzausschuß. Die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Christa Luft, Ost, und Heidi Knake-Werner, West und Ex-DKP, sind für Wirtschaftspolitik beziehungsweise Arbeit und Soziales zuständig. Nach dem Vorsitzenden Gysi, meint Heidi-Knake-Werner, spielen sie lange erst einmal gar keine Rolle. Danach sieht sie für sich vor allem die Aufgabe der inneren Integration der Fraktion. Kompensation für die unerfüllte 50-Prozent-Quote sollen die nun geschaffenen Frauenstrukturen bieten. Ein Arbeitskreis Feministische Politik hat einen eigenen Haushalt, entsendet eine Sprecherin in den Fraktionsvorstand und hält regelmäßig Frauenplenen ab, die über ein Vetorecht verfügen. Die Fraktion muß gegebenenfalls einen Kompromiß finden oder mit Zweidrittelmehrheit entscheiden. Christina Schenk, frauenpolitische Sprecherin, der ihre Vorgängerin Petra Bläss stillschweigend weichen mußte, stellt der PDS ein ungewolltes Armutszeugnis aus: „Bislang ist die Geschlechterrelevanz aller Politik kein Thema. Bei den meisten gibt es Nichtwissen und Ahnungslosigkeit. Doch ich habe nirgends Abwehr, sondern Dankbarkeit für die Denkhilfe erfahren.“ Unstrittig war der Beschluß, eine Grundgesetzänderung zugunsten der freien Entscheidung der Frau über eine Schwangerschaft zu beantragen. Für Heidi Knake- Werner steht die PDS unter Konkurrenzdruck der Grünen. Und sie sieht das Problem zunächst bei den Frauen und ihrer Verständigung, was mit Feminismus gemeint sei. „Wir hatten katastrophische Auseinandersetzungen beim Paragraphen 218 und bei der Verfassungsdebatte über die Institution Ehe und Familie.“ Unverständnis gab es bei den Ostfrauen für die Kritik an Ehe und Familie und bei den Westfrauen für die Identifikation mit ihnen. Gemeinsam ist den Fraktionen der Anspruch, Frauen- und Geschlechterpolitik nur als Querschnittspolitik betreiben und vor allem die Felder der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Familienpolitik neu erobern zu wollen. Die SPD hat die Wirtschaft besonders im Auge. Die Grünen haben die größte feministische Erfahrung, aber auch die Frauen ersetzen Utopien durch Geduld und machbare Alternativen. Die PDS präsentiert sich als Bewahrer der grünen Grundansätze, ihre Frauen üben sich wie eh als „Vermittlerinnen“. Die strukturellen Voraussetzungen zur Umsetzung der Anliegen der Frauen sind ausgebaut wie nie, ob die Frauen sie nutzen, bleibt offen.