Lieber Jod als tot

■ 50.000 Krebstote prognostiziert das Öko-Institut bei Krümmel-Katastrophe

Hamburg (taz) – 50.000 Hamburger könnten sich im Ernstfall dadurch retten, daß sie Fenster und Türen schließen, Jodtabletten einnehmen und auf eine koordinierte Evakuierung warten. Weiteren 50.000 Bewohnern der Millionenstadt würde das alles nicht helfen, sie hätten mit einer tödlichen Krebserkrankung zu rechnen. So steht es in einem Gutachten des Darmstädter Öko-Instituts, das die Hamburger Umweltbehörde jetzt in Auszügen veröffentlichte. Die Behörde hatte das Katastrophenszenario bereits 1992 in Darmstadt bestellt, rückte eine Zusammenfassung jedoch erst nach Druck durch die Medien heraus. Angeblich mußte noch ein Rechenfehler aus der Expertise beseitigt werden.

Das Gutachten macht keine Angaben über die Sicherheit des Krümmeler Atommeilers, sondern nimmt einfach einen „größten anzunehmenden Unfall“ (GAU) und eine für Hamburg seltene meteorologische Situation an: Südostwind. In diesem Falle müßten 1,2 Millionen Menschen aus der Stadt evakuiert werden, was niemand für möglich hält. Selbst wenn dies gelänge, blieben bis zu 106.700 Menschen so stark verstrahlt, daß sie daran sterben würden. Im „Leichenzählszenario“ (Behördenjargon) heißt es weiter: Durch geeignete Schutzmaßnahmen (Aufenthalt in geschlossenen Räumen und rechtzeitige Einnahme von Jodtabletten) ließe sich die Zahl der Opfer halbieren.

Nur die Strahlenwirkung der ersten sieben Tage wurde hochgerechnet; vorausgesetzt wurde weiter eine schnelle und vollständige Evakuierung. Selbst unter diesen günstigen Bedingungen bliebe jedoch die Hälfte des Hamburger Stadtgebietes nach einem GAU für 50 Jahre unbewohnbar.

Aus der Umweltbehörde heißt es zum GAU-Gutachten, die Wahrscheinlichkeit eines Eintretens der Katastrophe sei kleiner als eins zu einer Million. Trotzdem sei die Gefährdung von Menschenleben der einzige Grund, aus der Kernenergie auszusteigen. Dafür hat Umweltsenator Fritz Vahrenholt (SPD) genaue zeitliche Vorstellungen. Der Ausstieg werde ebenso lange dauern wie der Einstieg, also 25 bis 30 Jahre – von heute an. Denn der Einstieg könne als abgeschlossen gelten. Jürgen Oetting