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■ Press-SchlagFee oder Hexe

Wenn Englands Boulevardjournalisten an die Eiskunstlauf-Weltmeisterschaften denken, die nächste Woche in Birmingham stattfinden, befällt sie tiefer Gram. Nancy Kerrigan, die geprügelte Eisfee von Lillehammer, ist damit beschäftigt, ihr tragisches Schicksal in Dollars zu transformieren, ihr hexenhafter Counterpart Tonya Harding versucht sich in drittklassigen Filmchen sowie als Catcherin und ist bemüht, mittels gerichtlich verordneter Sozialarbeit ihr Image aufzupolieren. Aufs Eis gehen beide nicht mehr. Keine Seifenoper in Birmingham.

Zum Glück hat der US- Verband schlagzeilenträchtigen Nachschub entsandt: die 17jährige Nicole Bobek, die der Favoritin Michelle Kwan am 11. Februar mit einer sensationellen Kür den sichergeglaubten US-Titel wegschnappte. Konservativen Kräften im Eislaufverband der USA ist die eigenwillige Bobek, die Nikotin, Alkohol und anderen Vergnügungen nicht abhold ist, schon länger ein Dorn im Auge. „Ich bin ein sehr freier Geist“, sagt sie von sich selbst und bestätigt diese Aussage besonders gern während ihrer Kürläufe, deren Choreographie sie zum Entsetzen ihrer Trainer gelegentlich, spontanen Eingebungen folgend, ändert.

Wie Tonya Harding wuchs Nicole Bobek in bescheidenen Verhältnissen auf, ihre Mutter kam 1968 aus der ČSSR nach Amerika, ihren Vater hat sie nie gesehen. Zusammen mit ihrer „Disziplinlosigkeit“ Grund genug, sie zur legitimen Harding-Nachfolgerin auf dem Eis zu ernennen. Neue Nahrung bekam der Vergleich, als eine eher lächerliche Angelegenheit bekannt wurde, die Bobek mit dem Gesetz in Konflikt gebracht hatte. Am 2. November hatte sie das Haus einer Freundin in Detroit betreten, obwohl niemand anwesend war. Als der Vater der Freundin sie dort antraf, rief er die Polizei. Wegen Hausfriedensbruch verurteilte sie ein Jugendgericht zu Gemeindearbeit und verordnete eine zweijährige Bewährungszeit. „Ein Mißverständnis, ein Fehler“, erklärte Bobek zu der Affäre, aber: „Keine gebrochenen Herzen. Keine Tränen. Dinge passieren eben.“

Obwohl der Fall streng vertraulich gehandhabt wurde, drangen direkt nach den US-Meisterschaften Details an die Öffentlichkeit. Bobeks Anwalt ist überzeugt, daß die Konkurrenz hinter der Indiskretion steckt und vergleicht seine Mandantin denn auch eher mit Kerrigan als mit Harding: „Bei Nancy Kerrigan war es ein Schlag aufs Knie, bei Nicole Bobek geht es um Rufschädigung.“ Der US-Verband gab allerdings sofort bekannt, daß er nichts gegen Bobek unternehmen werde, und ihr Trainer Richard Callaghan hofft, daß die Läuferin die Sache verkraftet. „Sie hat eine Menge Stärke gezeigt“, sagt der Coach und räumt Nicole Bobek „eine Außenseiterchance auf eine Medaille“ ein. Wenn sie nicht wieder eigenmächtig die Kür verändert. Matti Lieske

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