Der göttliche Beelzebub vor Gericht

Anklage gegen Italiens Stehaufmännchen Giulio Andreotti wegen mafioser Bandenbildung zugelassen / Prozeßbeginn im September / Einfluß des Ex-Regierungschefs ist geschwunden  ■ Aus Palermo Werner Raith

Natürlich ist es für den „Divo Giulio“, den „göttlichen Julius“, fast eine Art Majestätsbeleidigung. Zumindest aber widerfährt ihm „eine schreiende Ungerechtigkeit“, schimpft Giulio Andreotti in einer Presseerklärung: „Zwei Jahre hatten sie Zeit“, tobt der 77jährige, „um meine Unschuld festzustellen“ – doch sie wollen und wollen offenbar nicht, die Staatsanwälte des „Anti-Mafia- Pools“ in Palermo unter ihrem Chef Giancarlo Caselli. Und nachdem sich nun auch der für die Verfahrenseröffnung zuständige Richter Di Cristina, von der Plausibilität der mittlerweile mehr als 4.000 Seiten dicken Anklageschrift überzeugt hat, muß der siebenmalige Miisterpräsident und 33malige Minister ab September vor Gericht. Die Anklage: mafiose Bandenbildung und externe Unterstützung mafioser Interessen. Zusätzlich hat auch noch die Staatsanwaltschaft Rom ein Verfahren wegen Anstiftung zum Mord an einem Enthüllungsjournalisten angehängt, es wird wahrscheinlich in den Prozeß integriert. „Es wird eng für Beelzebub“, schreibt La Repubblica in Anspielung auf Andreottis Schmähnamen.

Natürlich wußte Andreotti längst, daß er vor Gericht muß; und so hatten seine Anwälte vor allem versucht, das Allerschlimmste zu verhüten – eben die Durchführung des Verfahrens in Palermo, noch dazu unter der Federführung des Oberstaatsanwaltes Caselli, der als besonders effizient bekannt ist, aus Piemont stammt und daher für die üblichen sizilianischen Einflüsse unzugänglich ist. Palermo, einst Andreottis Klientelbasis für seinen Einfluß in der christdemokratischen Partei, will von ihm längst nichts mehr wissen.

Als deutliches Zeichen des Bruchs wurde Anfang 1992 sein Verbindungsmann in Palermo ermordet, der Europaabgeordnete Salvo Lima, nachdem Andreottis Seilschaft in Rom immer weniger in der Lage war, die Interessen der Mafia zu wahren. So hatte eine regelrechte Revolte im Kassationsgericht (vergleichbar unserem Bundesgerichtshof) den Vorsitzenden des für Strafsachen zuständigen Senats und Andreotti- Freund Corrado Carnevale, genannt „Urteilskiller“, hinweggefegt. Seither wurden die Lebenslänglich-Verdikte der unteren Instanzen auch in den Obergerichten bestätigt, was die Mafia sehr übel nahm. Auch von ihr hat Andreotti also in Palermo keine Unterstützung mehr zu erwarten.

Die Anwälte hatten nun geltend gemacht, Andreotti sei faktisch während all der ihm zur Last gelegten Episoden Minister oder Regierungschef gewesen, gehöre also vor das eigens für diese Personen gebildete „Tribunale dei ministri“ – in Rom. Der Schachzug wäre nicht schlecht gewesen, denn ein Gutteil der dortigen Richter verdankt just Andreotti und seinen Palladinen ihre Nominierung. Doch der Zug mißlang – es bleibt bei Palermo.

So Andreotti sich nicht durch Krankheit oder Versteckspielen dem Verfahren entzieht, werden die Italiener nun ab September aus dem Munde zahlreicher Mafia- Aussteiger authentisch hören, was dem Mann alles zur Last gelegt wird: Geradezu regelmäßige Treffen mit den jeweils höchsten Mafia-Bossen, mal um sich wegen des Mordes an einem Parteigenossen zu beklagen, mal um Strategien für den Wahlkampf zu entwerfen, mal, um sich über römische Querelen auszulassen. Sie werden hören, mit welchen Tricks sich Andreotti, so jedenfalls seine Ankläger, der zur Protokollführung verpflichteten Eskorte entzog und des öfteren mit nichtregistrierten Flügen in Privatjets zu Mafiatreffen reiste; wie er, so jedenfalls ein Aussteiger, mit dem Obersten aller Bosse, Toto Riina, gar den rituellen Mafiakuß auf beide Wangen tauschte, und mit Hilfe welcher Kanäle er, nach amtlicher Rekonstruktion, die Mafia-Clans jeweils wissen ließ, auf welche Gesetze sie sich vorbereiten, welche staatlichen Gelder sie abzocken, welche störende Staatsdiener sie ohne Furcht vor Repressalien des Staates abknallen konnten.