■ Ökolumne
: Ich hasse Biotope Von Florian Marten

Ein dicht

geflochtener Maschendrahtzaun verschleiert den Blick auf Schilfbüschel und Wasser. Ein paar hundert Quadratmeter geschützter Natur nahe Bad Suggental: Libellen, Frösche und Insekten haben es hier besser als anderswo. Vorausgesetzt, sie sind nicht lärm- und abgasempfindlich. Denn: Nicht weit von dieser idyllischen Pfütze wälzt sich der Beton der B 294 zwischen den grünen Ausläufern des Schwarzwaldgipfels Kandel und der plätschernden Elz gleich vierspurig Richtung Waldkirch.

Fluorgeschädigte Obstbäume beugen sich müde über das fahle Winterschilf. Überlandleitungen und das Rohrgewirr der Hamburger Aluminiumwerke und der Hamburger Stahlwerke bilden eine gespenstische Silhouette über dem toten Wasser der alten Süderelbe; die Reste der Süderelbe bilden heute ein reiches Biotop mit einer ganz eigenen Tier- und Pflanzenwelt.

Umweltschützern freilich ist das nicht genug. Sie warten schon heute voller Vorfreude, daß sich bald wieder Ebbe und Flut vom richtigen Elbstrom mit dem müden alten Wasser der Süderelbe mischen dürfen. Für gut 100 Millionen Mark wird hier in den nächsten Jahren eine der gewaltigsten Renaturierungsmaßnahmen Europas stattfinden. Die Öffnung der Süderelbe verspricht dank Salzwasserzufuhr die Wiederbelebung eines echten Brackwasserbiotops – ein, wie sich Hamburgs Umweltsenator Fritz Vahrenholt freut, echter Hit unter den europäischen Biotopen. Schade nur, daß die Bedenken der Hochwasserexperten lediglich eine sehr technische Öffnung per Minischleuse erlauben – künstliche Beatmung per Betonlunge.

Die Schilfpfütze an der Elz und das Brackwasser südlich Hamburgs haben eines gemeinsam. Sie beruhigen das Gewissen von Naturvernichtern. Es sind „Ausgleichsmaßnahmen“, eine jener Absurditäten, die dem deutschen Ordnungssinn so sehr gefallen. Das Libellen-Reservat an der Elz gleicht die Bundesstraße aus. Für die Betonlunge zur Salzwasserspülung der Süderelbe will der Hamburger Senat einige hundert Hektar Obstbauernwiesen inklusive Fischerdorf unter giftigem Spülschlick versinken lassen und obendrauf Containerterminals und Lagerhallen errichten. Und selbstverständlich ist mit dem Brackwasserbiotop auch die umstrittene weitere Elbvertiefung Richtung Cuxhaven schon vorab ausgeglichen.

Ausgleichsmaßnahmen, prima Sache. Biotope ohne Ende. Je Naturzerstörung, desto Biotop. Schon mal erlebt, wenn Umweltfunktionäre siegreich von der Ausgleichsfront heimkehren und ihre Trophäen aus der Schlacht mit Bau- und Wirtschaftslobby zeigen? Lärmwallhügeliges Abstandsgrün an der Umgehungsstraße, ein Hektar Kuhwiese mitten im Industriegebiet, Renaturierung eines Baches nahe der erweiterten Mülldeponie ... Hut ab! Gute Tat birgt guten Lohn: Viele dieser Ausgleiche erweisen sich als herrliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Umweltverwaltungen, Naturschutzverbände und Landschaftsarchitekten.

Der mechanistische Ansatz dieser ökologischen Begleitung menschlicher Naturvernichtung ist inzwischen fest im deutschen Planungsalltag verankert. Dabei fragen die Ökobeamten nicht nach Alternativen zum Eingriff. Sie laben sich an Auflagen und Ausgleichen. Die Umweltzerstörung ist tot. Es lebe das Biotop. Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), einst als Durchbruch der Umweltdenke ins Herrschaftsinstrument Planung gepriesen, hat sich längst in ihr Gegenteil verkehrt. Naturzerstörende Maßnahmen verbessern per UVP ihre planerische Gleitfähigkeit.

Natürlich wissen einsichtige Planer längst, was statt dessen geschehen müßte: integrierte Planung, die bei Investitionen die Sinnfrage stellt, für die Diskussion von Alternativen sorgt und sich um die ökologische und soziale Gesamtsituation eines Raumes kümmert, statt Schrebergärten für hauptberufliche Ökologen zu züchten. Statt die Naturzerstörung zu begrünen, müßten die Planer Wirtschaft und menschlichen Ressourcenverbrauch unter ganzheitlichen ökologischen und sozialen Kriterien neu organisieren. Eine Utopie.

Und so bleibt mir der Haß. Ich hasse Biotope hinter sorgsam gewachsten Holzhinweistafeln an Naturlehrpfaden. Mir wird speiübel bei Abstandsgrün, Koniferen in Betonkübeln im Fußgängerzonen-Asphalt und den treudoofen Umweltbeamten, die einem mit unschuldigem Augenaufschlag entgegenhalten: Das ist doch besser als nichts. Wirklich?

Florian Marten ist freier Journalist und Verkehrsplaner in Hamburg