Li Peng kritisiert Wirtschaftspolitik

■ „Rechenschaftsbericht“ des chinesischen Ministerpräsidenten vor den 2811 Delegierten des Nationalen Volkskongresses, die seit gestern in Peking tagen

Peking (AFP/taz) –Chinas Ministerpräsident Li Peng hat am Sonntag zur Eröffnung der jährlichen Sitzung des Nationalen Volkskongresses die Wirtschaftspolitik der Regierung im vergangenen Jahr ungewöhnlich scharf kritisiert. Insbesondere bei der Inflationsbekämpfung seien Fehler gemacht worden, sagte Li in seinem Rechenschaftsbericht vor den 2811 Delegierten des von der kommunistischen Parteiführung handverlesenen „Parlaments“.

Li Peng zufolge soll das wirtschaftliche Wachstum in diesem Jahr rund acht Prozent nicht überschreiten. Die Inflation soll bei 15 Prozent gehalten werden. Der Ministerpräsident kritisierte besonders den Preisanstieg von offiziell 21,7 Prozent 1994. Zwar seien dafür vor allem konjunkturelle Faktoren verantwortlich gewesen. Doch die „Regierungspolitik hat auf allen Ebenen Fehler gemacht“. Vor allem bei der Erhöhung der Preise für landwirtschaftliche Produkte sei die Möglichkeit einer Kettenreaktion nicht berücksichtigt worden.

Im Hinblick auf die Staatsbetriebe sprach er sich für „radikale“ Umstrukturierungsmaßnahmen aus. Gleichzeitig müsse das Sozialversicherungssystem reformiert werden. Die Zeitung Business Weekly berichtete gestern von dem Entwurf eines Drei-Punkte-Plans der chinesischen Regierung, durch den die Staatsbetriebe wieder effektiver arbeiten sollen. Der Plan enthält die Bankrotterklärung von 100.000 defizitären Staatsbetrieben. Betroffen seien jedoch vor allem kleine Unternehmen. Nähere Angaben wurden zunächst nicht gemacht. Knapp 34 Prozent der Staatsbetriebe schrieben im vergangenen Jahr rote Zahlen. Ihre Verluste wurden auf umgerechnet 7,8 Milliarden Mark geschätzt. Gleichzeitig sagte Li der Korruption den Kampf an.

Der für die Wirtschaftspolitik verantwortliche Vizepremier und Zentralbankchef Zhu Rongji verfolgte Li Pengs Rede mit versteinerter Mine. Beobachter sehen in Li's Seitenhieben gegen Zhu bereits die Vorboten eines Machtkampfes, der nach dem Tode des Spitzenpolitikers Deng Xiaoping erwartet wird.

Der Regierungschef kündigte in seinem 35seitigen Bericht an, auch gegen Kriminalität und Korruption vorzugehen, die zu Unmut in der Bevölkerung führten.

Obwohl die Regierung im vergangenen Jahr wieder mit großer Härte gegen Kritiker vorgegangen ist und zahlreiche Oppositionelle inhaftierte oder – wie Wei Jingsheng – einfach „verschwinden“ ließ, haben mehrere Gruppen von Dissidenten in den letzten Tagen Petitionen an den Volkskongreß gerichtet. Darin forderen sie Reformen und die Schließung der Umerziehungslager. Die Delegierten dürfen aber nur der Führung genehme Vorlagen debattieren und absegnen. Auch wenn es in den vergangenen Jahren bei diesen Debatten immer mehr kritische Töne – und häufiger Abstimmungsenthaltungen – gibt, ist eine offene Reaktion des NVK auf diese Petitionen nicht zu erwarten.