Die Internationale des Proletariats ist gespalten

■ Vor dem Sozialgipfel warnen Entwicklungsländer vor westlichen Arbeiterrechten

Kopenhagen (taz) – „Etwa 820 Millionen Menschen, darunter mehr Frauen als Männer, sind entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Der Sozialgipfel ist ein Hilfeschrei“, rief der chilenische UNO-Botschafter Juan Somavia, am Freitag in Kopenhagen bei der Eröffnung des Forums der nichtregierungsgebundenen Organisationen. Somavia gehört zu den Architekten der offiziellen UNO-Konferenz. Beifall erhielt er auch hier. Denn umstritten ist weder unter den offiziellen Regierungsdelegationen noch den angereisten Lobbygruppen das enorme Ausmaß des Problems. Die Entwürfe zur vom Sozialgipfel zu verabschiedenden Deklaration und zum Aktionsplan wimmeln von allgemein gehaltenen Versprechen der Regierungen, Abhilfe zu schaffen.

Streit gibt es vielmehr über das einzige spezifische Vorhaben: Die Europäische Union, unterstützt von den USA und anderen industrialisierten Ländern, wollen, daß die Deklaration eine ausdrückliche Verpflichtung zum Schutz von Arbeiterrechten enthält, entsprechend der Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Der Entwurf der EU sieht unter anderem ein Verbot der Kinder- und Zwangsarbeit, die Akzeptanz der Versammlungsfreiheit, das Recht kollektiver Verhandlung und Prinzipien der Nichtdiskriminierung vor.

Viele Vertreter der in der „Gruppe der 77“ zusammengeschlossenen Entwicklungsländer sind jedoch vehement gegen solche Bestimmungen. Vor allem Indien, Indonesien, China und Malaysia glauben, daß damit nur den protektionistischen Interessen der Industrieländer gedient werden soll. Nicht wenige Mitglieder von regierungsunabhängigen Organisationen stimmen mit dieser Interpretation überein. Hazel Brown für die Gruppe der aus den karibischen Staaten kommenden NGOs: „So wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Um dem Problem der Kinderarbeit beizukommen, muß erst einmal der Markt dafür verändert werden. Man kann den Kindern nicht einfach die Lebensgrundlagen nehmen und sie ohne Nahrung zurücklassen.“

Auch bei einem von der dänischen Gewerkschaft LO und dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften im Vorfeld des Sozialgipfels vom 1. bis 3. März im dänischen Parlament abgehaltenen Treffen gab es keine hundertprozentige Einigkeit. Zwar stimmten die meisten der 200 TeilnehmerInnen in der Forderung nach mehr Schutz für die am stärksten Benachteiligten der Arbeitskräfte überein. Subrata Mookerjee vom größten indischen Gewerkschaftsverband Intuc wandte sich zugleich aber dagegen, ein Verbot der Kinderarbeit mit der Androhung von Sanktionen zu verknüpfen. Das würde die indischen Exporte gefährden, sagte er. „Es ist eine Tatsache, daß Indien zwei Millionen Kinderarbeiter hat, und gegenwärtig ist es wichtiger, ihnen Nahrung und eine Grundversorgung zu geben.“ Hugh Williamson