Sanssouci
: Vorschlag

■ Kinder rund um die Welt auf Fotografien von Ulrike Schamoni

Ein kleiner Junge rennt durch eine schmutzige Straße. Wo er so dringend hin muß, weiß man nicht – er ist nur im Stillstand zu sehen, auf einem Foto. Vielleicht will der Junge auch nirgendwohin, vielleicht macht es ihm nur Spaß, seine Muskeln zu spannen; er ist ein Kind, ein Lamm. Die Geschwindigkeit hat seine rote Schläfenlocken nach hinten geblasen. Er rennt durch Mea Shearim, das orthodoxe Viertel Jerusalems. Die Berliner Fotografin Ulrike Schamoni, die etwa im Stern und Zeitmagazin Bilder veröffentlicht hat, zeigt jetzt rund fünzig Bilder von Kindern im Deutschen Historischen Museum. Schamoni fotografierte während der letzten fünf Jahre Mädchen, Paris, 1994 (Detail)

Kinder in Deutschland, in Paris, Irland, Rußland und Georgien. Die Kinder, die für sie etwa auf dem Potsdamer Platz, im Garten eines französischen Museums oder auf der Türschwelle einer verfallenen Datscha posierten, passen durchweg in die Klischees, die von ihren Ländern existieren. Mädchen in Paris sind klein und fein und tragen märchenhafte Kleider, Jungen in Irland haben rote Haare und viele Sommersprossen.

Schamoni hat sich gefragt, ob es in Ost- und Westeuropa unterschiedliche Kindheiten gab und gibt, und ihre Fotos beantworten diese Frage meist deutlich positiv. Die Kinder Westeuropas sind im allgemeinen besser gekleidet, dicker, gesünder und selbstbewußter als die osteuropäischen. Aber eins sind sie nicht: attraktiver. Schamoni hat Gefallen am Pittoresken der Armut gefunden. Ein großäugiges, in Lumpen gehülltes Mädchen aus Georgien, das für seine Puppe keine Kleider hat, ist auf einem Foto bezaubernder als seine westdeutsche Altersgenossin. Man wünscht sich, daß jedes Kind es so gut hätte wie Marie aus Berlin (West) – aber man sieht sich lieber die namenlosen Kinder aus Georgien an. Schamoni gleicht einer Touristin, die gern in armen Ländern Ferien macht, obwohl ihre Fotos in punkto Komposition natürlich raffinierter sind als die meisten Aufnahmen fürs Familienalbum. Und dadurch, daß Schamoni auch Bilder westeuropäischer Kinder zeigt, stürzt letztlich nicht sie in die Fallgrube der Armutsästhetik, sondern das Publikum. Bianca Stigter

Bis 18.4., Do.–Di. 10-18 Uhr, DHM, Unter den Linden 2, Mitte.