Ein Mord im dritten Satz

Die Neu-Krimiautorin Martina Navratilova hat Perspektiven  ■ Von Karl Wegmann

Der Rezensent bekennt sich schuldig. Lange hegte er ein böses Vorturteil gegen die neue Krimiautorin. Diese, eigentlich durch nichts zu entschuldigende, Engherzigkeit wurde geboren aus einer tiefen Abneigung gegen jede Art von sportlicher Betätigung und einer grenzenlosen Verachtung gegenüber Menschen, die Millionen damit verdienen, daß sie einen kleinen gelben Ball über ein Netz schlagen und dafür von den Massen angebetet werden. Auf Martina Navratilovas Konto sind Multimillionen, dazu kommen 18 Grand-Slam-Siege, der Rekord von 168 Turniersiegen und der Titel „Sportlerin des Jahrzehnts“ in den Achtzigern. Aber was hat das alles mit Krimis zu tun? Der Rezensent war nicht beeindruckt. Navratilovas „Spiel, Satz und Tod“ lag wochenlang, ab und zu von einem leicht angeekelten Blick gestreift, aber ansonsten unbeachtet in der Ecke mit den „höchstwahrscheinlich uninteressanten“ Büchern herum. Der Kritiker las statt dessen lieber ein halbes Dutzend mittelmäßiger Krimis. Benchleys albernes „Jaws“-Remake war es dann, was sogar die Navratilova wieder interessant erscheinen ließ.

Zunächst jedoch bekam das Vorurteil neue Nahrung, denn „der Mythos im Damentennis“ (Verlagswerbung) hat seinem Roman eine niedliche Widmung vorangestellt: „Für all die Vierzehnjährigen, die Tennis spielen oder sonst einen Sport betreiben, einzig und allein, weil sie ihn lieben.“ Aha, also doch. Kleinmädchennahrung, nichts für Krimifresser. Den Patzer macht die Navratilova aber gleich mit ihrem Anfangssatz wieder wett: „Als ich das letzte Mal vor Fernsehkameras stand, waren Millionen von Zuschauern Zeuge, wie ich von einer Sechzehnjährigen mit Zöpfen und Zahnspange fertiggemacht wurde.“ Das hat doch was! Das reißt an. In einem Satz wird ein ganzes Drama. Schon stecken wir mittendrin im ungeliebten Leistungssport.

Die Heldin ist allerdings keine Tennisspielerin, das war sie mal, heute arbeitet Jordan Myles als Physiotherapeutin in einer schicken Sportklinik in Desert Springs. Dort bekommt sie es mit dem 16jährigen US-Teenie-Tenniswunder Audrey Armat zu tun, das seit Monaten an mysteriösen Verletzungen laboriert. Die Zeit drängt, Wimbledon wartet, millionenschwere Werbeverträge sind in Gefahr. Therapeutin Myles findet schnell heraus, daß Audreys Probleme psychischer und nicht physischer Natur sind. Doch helfen kann sie nicht, Audreys Familie – Papa ist ihr Trainer, Mama die knallharte Managerin, der Bruder ihr Trainingspartner – mauert, hält die Diagnose für Blödsinn. Audrey dreht durch, reißt aus, und der Thrill kommt ins Spiel. Während Audreys Sippe der Promi-Klinik einen Prozeß anhängt, macht Jordan Myles sich auf den Weg, um die verlorene Tochter zu suchen.

Den ersten Satz hat Martina Navratilova ganz klar gewonnen. Sie ging nicht der alten Verlegerregel auf den Leim, nach der bei einem Krimi der Mord auf den ersten 20 Seiten zu geschehen hat. Den zweiten Satz verliert sie allerdings, wenn auch knapp. Denn um ihr 20jähriges Insiderwissen an den Leser zu bringen, um uns also einen Blick hinter die Kulissen des weißen Sports werfen zu lassen, greift sie zu einem allzu einfachen Trick: Auf der weltweiten Suche nach dem minderjährigen Tennisstar redet die Heldin mit Trainern, ehemaligen Kolleginnen bei der Women's Tennis Association, Journalistinnen, FunktionärInnen und so weiter. Und von jeder dieser Nebenfiguren bekommen wir eine komplette Biographie geliefert. Das nervt und bremst die Spannung. Viel aufregender und amüsanter ist es, wenn Jordan Myles (Navratilova?) an ihre eigene Zeit als Spielerin zurückdenkt: „Wie jede Frau, die je die Profitour gespielt hat, bestätigen kann, ist der schlimmste Alptraum nicht deine nächste Gegnerin, sondern die schmutzige Wäsche.“ Für solche Sätze muß man die Autorin einfach lieben. Wer aber auf große Enthüllungen oder gar saftige Sexszenen von der bekennenden Lesbe Navratilova wartet, wird enttäuscht. Sensationslüstern ist ihr Blick nie. Jedesmal wenn der Leser denkt, er hätte in einer fiktiven Figur einen realen Star erkannt, taucht dieser Star auch schon in der Geschichte auf („Gaby Sabatini wollte gerade das Stouffer Vinoy verlassen, als ich die Halle betrat“) und sofort wieder ab: „Freundlich wie immer schenkte sie mir ein strahlendes Lächeln.“ Punkt. Zu ihrer sexuellen Vorliebe gibt die Autorin ein einziges knappes und bissiges Statement ab: „Die Leute glauben immer, die Profitour im Damentennis sei entweder eine glorreiche Schwesternschaft mit zahllosen engen Freundschaften und jeder Menge gemeinsamer Aktivitäten abseits des Courts oder aber eine Brutstätte der lesbischen Liebe. Tatsache ist, daß keine der beiden Vorstellungen zutrifft. Wahrscheinlich gibt es im Damentennis nicht weniger oder mehr lesbische Frauen als überall sonst – obwohl diejenigen, die lesbisch sind, im Rampenlicht stehen und daher überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit sowohl von seiten der Presse als auch von potentiellen Partnerinnen auf sich ziehen, die aus rein opportunistischen Gründen auf eine Beziehung aus sind.“

Der dritte Satz, in dem der erste Mord geschieht (o ja, es gibt mehrere), geht dann wieder klar an Frau Navratilova. Schauplatz ist Wimbledon. Die Spannung steigt, es werden gekonnt falsche Fährten gelegt und Klischees elegant umsegelt. Dann wird, passend zum Finale, die Arena noch einmal gewechselt: „Wenn Wimbledon für Glanz und Gloria steht, dann bewegen sich die US-Open brutal zwischen Glitzer und Gosse. Grell, rauh, hektisch und heiß, mit Müllgestank bis auf die Plätze, ist es ein absolut unangenehmes Turnier.“

Der Originaltitel des Romans, „The Total Zone“, bezeichnet jenen metaphysischen Ort, an dem „die mentale Verfassung perfekt mit den eigenen athletischen Fähigkeiten harmoniert“. Es ist der Traumzustand eineR SportlerIn. Wer sich in der „Total Zone“ befindet, kann nicht verlieren. Martina Navratilova hat mit ihrem Krimidebüt bewiesen, daß sie mehr kann, als einen kleinen gelben Ball über ein Netz zu schlagen. Der Rezensent zumindest hätte nichts dagegen, wenn aus Jordan Myles eine Serienheldin werden würde, die Autorin hat nämlich durchaus das Zeug dazu, auch als Unterhaltungsschriftstellerin die „Total Zone“ zu erreichen. Allerdings verschwieg der Rezensent bis jetzt, daß die Navratilova eine Co-Autorin namens Liz Nickles beschäftigte. Jetzt aber zu spekulieren, wie groß wohl der Beitrag der in den USA populären Romanautorin und Marketingspezialistin an dem Krimi war, hieße wieder, sich aufs verminte Feld der Vorurteile zu begeben.

Martina Navratilova: „Spiel, Satz und Tod“. Bertelsmann, geb., 384 Seiten, 39,80 Mark.