Schirm & Chiffre
: Apropos CeBit

■ Medien zwischen Berlin und anderswo: Digitale Nomaden

Wir haben wieder CeBit-Zeiten. Hochkonjunktur für publizistische Begleiterzeugnisse zum Thema Computer und allem, was dazu gehört. JedeR hergelaufene Hänsel und Gretel fühlt sich bemüßigt, von persönlichen Irrfahrten zu berichten: Querelen mit dem Fax, Ärger mit dem „electronic banking“ oder „Wie ich mal einen echten Hacker traf“. Die Zeitungen sind voll davon. Der Spiegel hat gar ein Päckchen derartiger Schnurren aus Digitalien zu einem „Spezial“ zusammengerafft.

Auch ich möchte mein hänseliges Scherflein zur Taschensoziologie der heraufdämmernden Informationsgesellschaft beitragen. Also, kurzum, mein heutiges „Portable“. In meinem Fremdwörterlexikon findet sich unter den ersten zwei Begriffen sowieso nichts, unter drittem steht: „tragbares, nicht an einen festen Standplatz gebundenes Kleinfernsehgerät“. Was wiederum zeigt, wie alt mein Lexikon (Mannheim, 1982) inzwischen geworden ist.

Dabei kommt es mir vor, als sei es erst gestern gewesen, als mir A. vor drei Jahren auf einer Zugfahrt nach Leipzig stolz ein Gerät präsentierte, daß ich aus der Ferne für einen eleganten Hartschalenkoffer gehalten hatte. Von nahem war es dann ein Laptop. Eines der ersten Modelle, die es überhaupt gab. A. fragte mich gleich nach meiner Adresse, um sie in der Datenverwaltung des Gerätes abzuspeichern. Mit zusammengekniffenen Augen stierte er in das moosgrün schimmernde Display: der Blick eines Pioniers.

Ein Jahr später trafen wir uns wieder, diesmal im Zug nach Köln. A.s Laptop sah jetzt eher aus wie eine Vollplastikausgabe vom – sagen wir mal – dritten Band des Brockhaus („Buci – Deus“). A. hielt seinen neuen Schatz aufgeklappt auf dem Schoß und hämmerte routiniert in die Tasten. Das Display leuchtete in professionellem Blau. Abermals fragte er mich nach meiner Adresse. Die Datenübertragung auf den neuen Laptop hatte offenbar nicht geklappt.

Und noch ein Jahr ging ins Land, dann hatte ich auch einen Laptop. Da es ein (preisreduziertes) Auslaufmodell war, sieht er immer noch aus wie Brockhaus, Band Drei („Buci – Deus“): klein, handlich und mausgrau. Unter der Tastatur ist eine Art Murmel eingelassen, die zum bewegen des Cursors dient. Aber das ist nichts Besonderes, habe ich mir sagen lassen. Egal.

Vor kurzem nun traf ich, wie könnte es anders sein, A. Im Zug nach Frankfurt. Ich hielt mein Laptop auf dem Schoß und versuchte verzweifelt, die erlahmende Batterie zu einem letzten Speichervorgang zu bewegen. A. hatte diesmal keinen Laptop. Das Ding sei ihm letzthin runtergefallen. Alle Daten futsch. Dann wollte er wieder meine Adresse wissen.

Schade, schade. Hätte meine Batterie nicht schlappgemacht und wäre A. nicht so ein Tölpel, dann hätte ich ihm diesmal endlich anbieten können, meine Personendaten via SCSI-Kabel direkt von meinem auf seinen Laptop zu überspielen. So jedoch mußte ich zusehen, wie er meine Adresse mit einem Feinminen- Bleistift in seinen Kalender eintrug. Den Rest der Fahrt über behalfen wir uns mit dem Austausch von Kochrezepten: Als tapfere digitale Nomaden waren wir fest entschlossen, diese blamable Schlappe würdevoll zu ignorieren. Martin Muser