Nächstenliebesfähig

■ "The Shawshank Redemption" - Die Verurteilten, ein Film von Frank Darabont

Es beginnt als Sex-&-Crime- Drama und endet in Liebe. „The Shawshank Redemption“ (Die Verurteilten), die Geschichte von Andy Dufresne, der wegen Mordes an seiner Frau und deren Geliebtem 1947 zu zweimal „lebenslänglich“ verurteilt wird, funktioniert streckenweise wie eine Reise ans Licht. „Ich habe meine Frau nicht umgebracht“, bekennt Dufresne, nachdem er für zwei Monate in Einzelhaft weggesperrt war, „aber ich habe sie von mir wegtreiben lassen, ohne ihr zu helfen“. Dafür fühlt sich der ehemalige Banker schuldig, deshalb will er seine Zeit in der Hölle des Gefängnisses als Bußejahre verstanden wissen. Solcherart nächstenliebesfähig geworden, gelingt ihm die Flucht nach Mexiko, wo er schließlich wie ein Beatnik am Meer lebt. Von einer Einsamkeit in die nächste, das Ganze hat auch etwas von christlicher Erweckungsphantasie.

Als Stephen King 1982 die Kurzgeschichte schrieb, auf der „The Shawshank Redemption“ basiert, waren die Klassiker des Gefängnisfilms längst abgedreht. Lediglich Don Siegel hatte sich 1980 noch einmal an einem „Alcatraz“-Remake versucht, mit Clint Eastwood anstelle von Burt Lancaster in der Hauptrolle. Kings Story lebt denn auch weniger vom Überlebenswillen derer, die hinter geschlossenen Zellentüren den Mut nicht aufgeben wollen; vielmehr erzählt er, wie aus Grenzsituationen Alltag wird. Die strengen Ordnungsrituale im Knast, das Machtspiel zwischen Wärtern und Rebellen, erscheinen bei ihm so selbstverständlich, als wäre das Drinnen vom Draußen nicht unterscheidbar. Die Aufbewahrungsanstalt produziert die gleiche Klassengesellschaft wie Schule, Militär und Beruf. Foucault hätte diesem Denkmodell nicht widersprochen, nur King schlachtet das Thema weiter aus, indem er sich an den Verfehlungen weidet, die unter Haftbedingungen entstehen.

Fast meint man, er schaue Tieren zu, die sich in einer black box zurechtfinden müssen. Die Starken kollaborieren mit der Gefängnisleitung, die Schwächlichen und Verweichlichten holt der Teufel. Andy Dufresne ist für King eine idealtypische Führerfigur, ein strahlend amerikanischer Sportsmann, der Beamte schmiert und überlegen jeden Schmerz aushält – nicht als unbändigbarer Rebell, sondern als kalkulierender Geschäftsmann, der psychischen Aufwand und physischen Nutzen miteinander abwiegt.

In seiner Verfilmung hat sich Frank Darabont an den Rahmen gehalten, doch die Charaktere der Hauptfiguren sind wie ausgewechselt. Sie taumeln zwischen der Angst vor dem Verlust ihrer Würde und dessen schicksalsergebener Akzeptanz. Tim Robbins scheint in der Rolle des internierten Bankers den gesamten Film über unsichtbar unter der Oberfläche zu agieren. Manchmal zittert er, als könne er diese Spannung in seinem Körper kaum ausbalancieren. Wenn er spricht, bewegen sich seine Lippen nicht, Verzweiflung spiegelt sich nur in einem Augenaufschlag wider. Er ist zu Unrecht verurteilt worden und kann es keinem verständlich machen – „Wir sind hier alle unschuldig“ ist ein stehender Witz, mit dem Neuankömmlinge begrüßt werden. Die Wahrheit zählt unter Gefangenen nur wenig. Das Abbild dieses Konflikts von grübelndem Geist und grauser Welt ist Apathie in einem Leerlauf der Gefühle, die Robbins schon als Politiker ohne Eigenschaften in „Bob Roberts“ besser verbergen konnte als jedes Pokerface der „Old School“. Das alles geschieht nach Actors-Studio- Methode: „Der Zuschauer muß sich seine Meinung einzig und allein anhand des Images bilden, das er projiziert“, so Robbins im Interview anläßlich von „Bob Roberts“. Ein einziges Mal vergißt sich Dufresne, als er Mozarts „Hochzeit des Figaro“ hört, weil er die Musik im Inneren empfindet, wo sie „einem keiner nehmen kann“.

Ganz verzichtet allerdings auch Darabont, der bislang an Drehbüchern für Splatter, Trash und Branaghs „Frankenstein“ gearbeitet hat, nicht auf die kalte Brutalität, mit der sich Menschen in der Regel im Knast begegnen. Im Gegenteil, „Knastschwestern“ vergewaltigen Neuankömmlinge, die Aufseher prügeln aus Wut und Langeweile Menschen zu Tode, ohne daß sich bei den Insassen eine Spur von Trauer einstellt. Diese Dinge passieren. Dazwischen dann humorvolle Volten: Dufresne frisiert als Finanz-Ass dem Direktor die Gefängnisbücher und hilft den Vollzugsbeamten bei der Steuererklärung. Ein brechtisch angeschmiegter Herr K. Doch Darabont legt ebensoviel Wert auf die Details, in denen einzelne aus der fortschreitenden Verrohung auszubrechen versuchen. Tommy Williams, ein Ted, der in den frühen Sixties eingewiesen wird, macht im Gefängnis seinen High-School-Abschluß. Der siebzigjährige Brooks päppelt ein Rabenjunges auf.

Zweifellos ist „The Shawshank Redemption“ der bislang gefühlvollste Film, der über das Leben im Knast gedreht wurde. Doch die Stärken liegen gar nicht so sehr in der auf und ab tobenden Gruppendynamik, die der Film minimalistisch in Szene setzt. Sie kommt in der Unaufgeregtheit zum Vorschein, mit der Darabont darstellt, wie Zeit einfach vergehen kann, ohne daß man auch nur den geringsten Zugriff auf Veränderungen hat. Drinnen ist es immer einsam und still; blauschimmernd stechen manchmal Unterhemden schemenhaft aus dem Dunkel hervor. Ab und zu blicken Tim Robbins und Morgan Freeman vom Boden auf, versuchen sich ein Gegenüber vorzustellen, und fixieren dabei nur die Kamera. Das ist Isolation.

Mit trocken knarrendem Südstaatenakzent erzählt Morgan Freeman als „Red“, wie sich das Leben im Shawshank-Gefängnis langsam „institutionalisiert“ und auflöst. Im Zehn-Jahres-Rhythmus erhält der Schwarze Gelegenheit, vor dem Begnadigungsausschuß Reue zu zeigen. Nach jedem abgelehnten Gesuch weiß er, daß bis zur nächsten Anhörung wieder ein Jahrzehnt vergehen wird. Dazwischen ändert sich nichts, nur die Pin-Ups werden moderner: Rita Hayworth, Marilyn Monroe und zuletzt Raquel Welch. Zum dreißigjährigen Knast-Jubiläum bekommt „Red“ eine Mundharmonika geschenkt. Zuletzt hatte er als Kind damit gespielt. Harald Fricke

„The Shawshank Redemption“. Regie: Frank Darabont. Mit: Tim Robbins, Morgan Freeman und anderen. USA, 1994.