Außerirdisch

■ betr.: Vatikanische Ereignisse

Kairo, das neue Buch, bevorstehender Berlin-Besuch. Fast täglich Päpstliches in der taz. Mich hat das richtig neugierig gemacht. Vor allem wollte ich mehr wissen, was für ein Staat das ist, dessen Regierungsoberhaupt diese Aufmerksamkeit gilt, und wie die Menschen dort leben – Stichwort „Bevölkerung und Entwicklung“.

Ein älterer, zweibändiger Brockhaus, Munzinger, Fischer Weltalmanach und der Prachtband von Bart McDowell (Der Vatikan, RV-Verlag 1991) waren meine Quellen. Folgendes habe ich gefunden:

Vatikanstaat liegt in Rom, 1929 gegründet, durch einen Vertrag zwischen Mussolini und dem damaligen Papst, dem Bischof von Rom, Pius XI. Fläche: 0,44 qkm. Staatsoberhaupt, wie gesagt, der Papst, in einer Person Legislative, Exekutive und Judikative, mit einem Staatssekretär für Verwaltungsaufgaben. Allgemeine Wahlen sind nicht vorgesehen. Parteien gibt es nicht.

Verschiedene Aufgaben lassen auf eine ungefähr 800köpfige Bevölkerung auf dem Staatsgebiet schließen, wovon nur zirka 500 die vatikanische Staatsbürgerschaft haben. Dies sind fast alles zölibatäre Kleriker, bis auf zirka 100 Soldaten der Schweizergarde mit Staatsbürgerstatus für die Dauer ihrer Dienstzeit in Polizei- und folkloristischen Funktionen.

Der Tagesrhythmus im Staate Vatikan wird von Gottesdiensten bestimmt. Der Vatikan hat ein eigenes Postwesen, eine eigene Radiostation, die die päpstliche Meinung in 34 Sprachen rund um die Uhr mit großer Reichweite verbreitet, eigene Bank, eigenen Bahnhof, eigenen Hubschrauberlandeplatz, eigene Krankenhäuser, eine Reihe von Hochschulen mit theologischem Schwerpunkt, große Bibliotheken und Archive mit wertvollen Beständen, eine papstloyale Tageszeitung, mit einer Wochenausgabe in mehreren Sprachen. Die benutzten Quellen lassen offen, wer die Arbeitenden und Studierenden in den vatikanischen Institutionen sind. Es wird lediglich gesprochen von zirka 1.800 innerterritorialen Angestellten, ohne genauere Auskunft über deren Lebens-, Wohn- und Arbeitsbedingungen. Was ist zum Beispiel mit den Rechten von Nicht-Staatsangehörigen und den Chancen von Frauen? Ja, gibt es überhaupt Frauen und Mädchen mit vatikanischer Staatsbürgerschaft? – Keine der gesichteten Quellen enthält detaillierte bevölkerungsstatistische Angaben.

Frauen im Vatikan sind zum Beispiel Nonnen (Staatsbürgerinnen?), die den Klerikern (Staatsbürger!) Hausfrauen und Sekretärin sind. „Papst Johannes Paul hat die Nonnen, die seinen Haushalt führen – und ihre polnische Küche – aus Krakau mitgebracht.“ Frauen sind Missionarinnen (Staatsbürgerinnen?) in Mutter Teresas Asyl (mit Betten für 72 Frauen), das sich seit 1989 auf dem Gelände des Vatikans befindet. Frauen sind franziskanische Schwestern, die zum Beispiel die prächtigen Gobelins und Wandteppiche im Vatikan pflegen und restaurieren – StaatsbürgerInnen?

Und Kinder? Zwei Beispiele: Die kleine Tochter des Chefgärtners (Staatsbürger?) geht in eine römische Schule, der Sohn (wie vielleicht alle Söhne?) in die Ministrantenschule neben dem Petersdom; dreijährige Ausbildung, beginnend im Alter von elf.

Erst seit 1993 gibt es einen Kindergarten für den Nachwuchs der weltlichen Angestellten – ein Erfolg des jungen Gewerkschaftsrats. Nach Ringkämpfen von über zehn Jahren hatte der Papst 1989 endlich dieses Interessenvertretungsorgan „seiner“ weltlichen Angestellten anerkannt.

Doch zurück zur Ausgangsfrage und vorläufiges Fazit: Der Vatikanstaat scheint mir eine Art (Männer-)Kloster im modernen Status eines Nationalstaates zu sein, der immer wieder auffällt mit seiner ausgesprochen aggressiven, ja fanatischen Außenpolitik gegen Fraueninteressen und Intoleranz gegen Andersdenkende – vergleiche das Auftreten seiner Delegation jüngst bei der UN-Konferenz in Kairo. Und während die religiöse Regierung des Iran die iranische Bevölkerung fürchtet und mit despotischen Methoden in Schach halten muß, um zu tun, was sie tut, gilt für den Vatikan, daß er ganz offensichtlich überhaupt keine Bevölkerung im eigentlichen Sinne hat, sondern nur abhängig Beschäftigte.

Ist so was völkerrechtlich überhaupt ein Staat? Wann wird Amazonien gegründet wegen des Gleichgewichts der Kräfte auf internationalem Parkett? ...mit guten diplomatischen Beziehungen zu Arbeitslosien in Berlin und ohne Grußadresse an den Papst, wenn er demnächst dorthin kommt? Fragen über Fragen. Helga Bürger, Bonn, 6. 12. 94