Die Volksfront war die Familie

Eritreas ehemalige KämpferInnen und ihre Schwierigkeiten mit dem Frieden. Gerade die Frauen versuchen, ihre Rolle aus dem Krieg zu behaupten  ■ Aus Aligidir Bettina Rühl

Ein Feldbett, ein Armeerucksack, drei Beutel mit Lebensmitteln – das ist der ganze Besitz von Hannah (28) und Girma (29). Das Zelt, in dem sie leben und ihre Habseligkeiten verstauen, gehört ihnen nicht; es ist eine Leihgabe der halbstaatlichen „Hilfs- und Wiederaufbauorganisation von Eritrea“ (ERRA). Das Ehepaar wohnt nun schon seit sechs Monaten in dem Lager bei Aligidir im Westen des Landes. Der Platz mit den hastig gebauten Strohhütten und den Zelten wirkt noch immer wie eine Notunterkunft. Einen Brunnen gibt es bisher nicht, alle drei Tage kommt ein Wasserwagen – wenn er kommt. Zwischen den staubigen Büschen taucht ein Nomade mit seinem Kamel auf, hält Rast bei einem Tee und zieht in den Abend davon.

„Wir sind zufrieden, hier zu sein“, sagt Hannah. Die 28jährige kam mit ihrem Mann nach Aligidir, weil die eritreische Regierung ihnen hier drei Hektar Ackerland angeboten hat. Darauf wollen die beiden ihre Zukunft bauen, obwohl sie bisher nie Hacke oder Pflug in der Hand gehabt haben: Hannah und Girma gehören zu den rund 100.000 Guerillas der „Befreiungsfront des Eritreischen Volkes“ (EPLF), die 1991 nach dreißig Jahren Bürgerkrieg den Sieg über die äthiopische Armee erkämpft haben.

Die ehemalige Nordprovinz ist seit anderthalb Jahren unabhängig, die Kämpfer haben ihren Dienst getan, und nun will die Übergangsregierung mehr als die Hälfte der Truppe entlassen: Nur 40.000 sollen in die reguläre Armee übernommen werden. Die übrigen Kämpfer sollen wieder in das Zivilleben eingegliedert werden. Bisher haben etwa 45.000 ihre Waffen abgegeben. Sie suchen nach einer Überlebensmöglichkeit im Frieden. Viele haben keinen Ort, an den sie zurückkehren könnten: Sie waren jahrzehntelang an der Front und haben nur das Kämpfen gelernt.

Um ihnen den Start zu erleichtern, hat die Regierung eine neue Abteilung der ERRA gegründet, die „Mitias“. Übersetzt heißt dies: das Recht, ein neues Leben anzufangen. Ein harter Anfang, sagt Amanuel Mehreteab, der seit zwei Jahren bei „Mitias“ arbeitet: „Die EPLF war wie eine Familie für die Kämpfer. Sie wurden versorgt und verpflegt. Jetzt selbständig zu leben fällt den meisten schwer.“

Amanuel selbst lebt noch immer in der Kaserne: Weil die Regierung kein Geld hat, um ihren Angestellten ein Gehalt zu zahlen, müssen Soldaten die zivilen Aufgaben übernehmen – für ein Taschengeld von umgerechnet zehn Mark. Amanuel beklagt sich nicht: „Ich habe mich dafür entschieden, in jeder Form für mein Land zu kämpfen.“

Auch die entlassenen Kämpfer warten geduldig auf bessere Zeiten. Je nach Dienstjahren bekommen sie bei ihrer Entlassung bis zu 10.000 Birr, umgerechnet 2.500 Mark. Amanuel berät jene, die sich mit diesem Geld selbständig machen wollen – etwa als Bäcker, Fahrlehrer, Händlerin oder Bäuerin. Die deutsche „Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ) unterstützt das Reintegrationsprogramm mit einer Beraterin und 4,9 Millionen Mark.

In Aligidir haben sich 1.200 ehemalige Kämpfer – darunter 138 Frauen – und 450 zurückgekehrte Flüchtlinge aus dem Sudan angesiedelt. Ihnen allen hat die Regierung je zwei Hektar Bewässerungsland für den Baumwollanbau und einen Hektar für Sorghum angeboten. Die schwarze Erde ist fruchtbar. Auf mehr als 2.700 Hektar stehen Baumwollpflanzen, die in diesem Jahr dicht und weiß tragen. Auf weiteren 1.200 Hektar wächst Sorghum, eine Hirseart.

Kurz nach der Unabhängigkeit hat die eritreische Regierung den Baumwollgürtel im Westen des Landes wiederentdeckt und hier das „landwirtschaftliche Entwicklungsprojekt“ (AADP) gestartet. Das Projekt ist das ehrgeizigste zur Reintegration der Ex-Fighter: die riesigen Felder werden mit Traktoren beackert, ein Flugzeug spritzt wöchentlich Schädlingsbekämpfungsmittel. Ein führender Mitarbeiter von AADP rechtfertigt den Raubbau an der Umwelt: „Wir haben derzeit keine andere Wahl.“

Das Land ist durch den dreißigjährigen Bürgerkrieg wirtschaftlich ruiniert. Die Betriebe, die den Krieg überstanden haben, arbeiten nur mit 20 Prozent ihrer Kapazität. Die Elektrizität, die derzeit produziert wird, reicht knapp für die Hauptstadt Asmara, für die Bedürfnisse moderner Industriebetriebe reicht sie nicht. Mindestens 50 Prozent der Eritreer sind nach Schätzungen der ERRA arbeitslos oder unterbeschäftigt. Zu dem Heer der Arbeitslosen gesellen sich die entlassenen Kämpferinnen und Kämpfer. Und knapp 500.000 Flüchtlinge warten darauf, aus dem Sudan in ihre Heimat zurückkehren zu können; noch einmal so viele flohen nach Übersee.

Hannah und Girma sind froh, einen Platz zum Überleben gefunden zu haben. Ihnen geht es wie den meisten Jungbäuerinnen und Jungbauern in Aligidir: Während sie säen, wässern oder ernten, sehen ihnen lokale Berater über die Schultern. Jeden Handgriff müssen sie lernen. Hannah ist mit ihren Fortschritten zufrieden, sie hofft auf eine gute Baumwollernte. Den Gewinn hätte das Ehepaar bitter nötig, denn das Sorghum verfaulte auf den Stengeln: „Mein Mann war krank, ich mußte auf unsere beiden Kinder aufpassen und konnte nicht arbeiten.“ Inzwischen haben die Eltern die beiden drei und anderthalb Jahre alten Söhne zu Verwandten nach Asmara gebracht. „Das hier ist kein Leben für Kinder“, erklärt Hannah, „und wir hätten für sie auch gar keine Zeit.“ Sollten sie einmal genug Geld haben, um sich eine Hütte zu bauen, sollte ein Kindergarten und Schulen entstehen, würden sie ihre Söhne gerne zu sich holen.

Denn der Weg nach Asmara ist weit, und die Straße ist so schlecht wie die meisten im Land: Panzerketten und Bomben haben tiefe Schlaglöcher in den Sandpisten hinterlassen. Die Spuren des Krieges sind noch überall sichtbar: Am Straßenrand verrosten Panzer und Militärlastwagen. Tiefe Gräben ziehen sich an den Flanken der Berge talwärts: Die Kämpfer beider Seiten haben Schutz im Gestein gesucht; die meisten Schlachten fanden hier, fern der Städte, statt. Nur vereinzelte Bäume haben den Krieg überstanden, die übrigen wurden von äthiopischen und eritreischen Soldaten zu Feuerholz verarbeitet.

Dennoch sind die Hänge in diesem Jahr grün: Der Regen fiel reichlich und zur richtigen Zeit. Der Bauer Yosef Weldemichael ist deshalb mit der vergangenen Ernte zufrieden und zuversichtlich: „Wir haben den Krieg überstanden, wir werden auch den Frieden bewältigen.“ In den vergangenen Jahren mußte er seine Felder wegen der Luftangriffe oft brachliegen lassen, und aus Angst vor den Truppen floh er mehrfach aus seinem Dorf. Nun sind die Straßen zwischen den Dörfern wieder passierbar, der Handel blüht auf – auch Yosef Weldemichael wird wohl einige Überschüsse zum Markt bringen. Die Preise für Brot und Getreide sind gefallen.

Am Rand der Piste sind neue Hütten und Teestuben für die Durchreisenden entstanden. Die Eritreer, die vor den Kämpfen in die Berge flohen, kehren in ihre Dörfer und zu ihrem traditionellen Alltag zurück – 80 Prozent der Bevölkerung leben als Bauern und Nomaden. Ziegen, Schafe und Hühner tummeln sich zwischen den Gästen in den „Tee-Shops“ und suchen mit Zicklein und Küken unter den Tischen nach Futter. Die Viehherden, durch Dürren und Krieg auf ein Drittel reduziert, werden wieder größer.

Aber besonders für die ehemaligen Kämpferinnen sei es schwer, den ungewohnten Alltag zu bewältigen, meint Askalu Menkerios, die Vorsitzende der „Nationalen Union der Eritreerinnen“ (NUEW). Die Frauen haben ein Drittel der Truppe gestellt, haben mit der Waffe gekämpft, in den Schulen der EPLF gelehrt und den Nachschub organisiert. Die meisten ließen ein traditionelles Leben in den Dörfern hinter sich, als sie zur „Befreiungsfront“ gingen. Sie haben sich während des Krieges verändert, „sie sind selbstbewußt geworden“, sagt Askalu Menkerios. Jetzt fällt es ihnen schwer, ihre neue Rolle zu behaupten: „Viele Eritreer glauben, daß diese Veränderung nur mit der Ausnahmesituation des Krieges zusammenhing und daß die Frauen nun wieder an den Herd zurückkehren sollten.“ Viele Kämpferinnen sind von der Hilfe ihrer Familien abhängig, weil sie keine Arbeit finden oder Kinder haben, die niemand betreuen kann.

Neue Gesetze sollen die Gleichberechtigung der Eritreerinnen absichern: sie dürfen wählen und gewählt werden, auch ihre unehelichen Kinder werden als Eritreer anerkannt, und vor allem dürfen Frauen neuerdings Land besitzen. Bei der Verteilung jedoch weigerten sich sogar die ehemaligen Kampfgenossen, die Ackerflächen mit Frauen zu teilen. Die Regierung stoppte die Landverteilung und startete eine Aufklärungskampagne, „damit das neue Gesetz verstanden wird“.

Rückkehrerinnen aus dem Westen unterstützen die Ex-Fighterinnen bei der Verteidigung der neuen Frauenrolle. In der „Diana- Bar“ in Asmara tanzen sie im westlichen Mini-Schick bis tief in die Nacht zu afrikanischen oder europäischen Hits. Eden erholt sich im Gewirr aus US-englischen, schwäbischen, italienischen und schwedischen Wortfetzen von der Fremdheit der Heimat da draußen; am Nachbartisch erzählt Birhane seine Erfolgsgeschichte aus Amerika. Dabei trinkt er Bier aus Bremen, das vom einheimischen Durchschnittslohn – im Monat knapp 40 Mark – unbezahlbar ist.

Auch für Robel sind die Preise in der Diana-Bar kein Problem: Er ist Programmierer und verdient im Monat umgerechnet 2.500 Mark – ein Gehalt, das sechsmal so hoch ist wie der eritreische Spitzenverdienst. Der Unterschied ist so groß, weil Robel sein Gehalt aus Deutschland bekommt: Um die meist gut ausgebildeten Flüchtlinge zur Rückkehr zu ermuntern, hat die „Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ) das sogenannte „Fachkräfteprogramm“ gestartet. Rückkehrer, die sich selbständig machen wollen, bekommen Zuschüsse und zinsgünstige Kredite. Angestellte erhalten zwei Jahre lang 60 Prozent ihres Lohns aus Deutschland. Bisher haben erst rund 25 „Existenzgründer“ und 180 Angestellte das Angebot angenommen.

Beneidet werde er nicht, meint Robel, eher bestaunt: „Die Leute fragen: Seid ihr bescheuert, das Leben hier zu riskieren? Die Wirtschaft liegt doch völlig am Boden!“ Wegen der Arbeitslosigkeit und dem Mangel an Wohnungen seien seine Landsleute mittlerweile „ziemlich gereizt“. Dennoch hätten sie „großes Verständnis für diese Regierung“.

Das Volk steht hinter den ehemaligen Kämpfern, die die Regierungsverantwortung übernommen haben. Eine Wahl haben sie nicht, denn die EPLF, die sich seit einem Jahr „Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit“ nennt, ist die einzige legale Partei. Erst 1996, wenn voraussichtlich eine Verfassung verabschiedet wird, sollen weitere Parteien zugelassen werden. Auch in anderen Fragen zieht die Übergangsregierung sehr klare Grenzen: die „Schwierigkeiten“ mit dem Sudan, die im November vergangenen Jahres zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen geführt haben, sind in Eritrea tabu, die Führung hat eine Informationssperre verhängt.

Trotzdem scheint das Einverständnis mit der Regierung groß. Die relative Ruhe im Land hat allerdings auch Nachteile, meint Amanuel Mehreteab: „Um unsere wirtschaftlichen Probleme zu lösen, bräuchten wir viel mehr Unterstützung aus dem Ausland. Aber Hilfe kommt immer erst, wenn eine Katastrophe da ist.“