Aus dem Leben eines Onanisten

Ziemlich falsches sexuelles Dahinexistieren, auch noch selbst eingebrockt: Joe Matts Comic „Peepshow“  ■ Von Martin Zeyn

Zweifellos stinkt es in der Bude. Verbrauchte Luft, kalter, testosteronhaltiger Schweiß, Reste von Fastfood, Sperma im Toilettenpapier. Nachrichten aus dem Leben eines Onanisten. Zwar nicht aus Überzeugung, jedoch mit großer Inbrunst gezeichnet. Im Heft 4 erträumt sich die autobiographische Hauptperson Joe Matt einen ganzen Harem verfügbarer Frauen. Doch sie verschwinden nicht, als Matt von einer realen Frau träumt. Auch diese Frau wird zur Projektionsfläche, allerdings leicht verändert: „Who's the new girl with the tank-top?“ Die Frau als Wichsvorlage. Wer über männliche, spätpubertäre Sexualität forscht, findet in Peepshow genug Material.

Ein zurückhaltender Schwarzweißstil, kaum graphische Details, Bewegungen werden in viele Panels aufgeteilt, was Langsamkeit erzeugt. Auffällig sind die zahlreichen großen Sprechblasen, die ein allgemeines Merkmal von autobiographischen Comics darstellen. Das eigene Leben wird erzählt, scheinbar eins zu eins. Der Autor Joe Matt ist im Comic Joe Matt, ein twentysomething-Comicautor. Hin und wieder beschweren sich Figuren im Comic darüber, in den vorherigen Nummern wiedergegeben zu sein. Realität und Präsentation vermischen sich, manchmal ist die Präsentation sogar dominant. Etwa wenn Matt einer Frau erklärt, daß ihm dünne Frauen gefallen, weil er das in einer Geschichte geschrieben hat. Ein Erzählertrick, damit auch Intellektuelle sich an den Szenen aufgeilen können? Was ein bloßer Kunstgriff sein kann, die russischen Futuristen nannten es Offenlegung des Verfahrens, hat hier noch eine andere Bedeutung.

Es schafft, ebenso wie der fehlende Plot, Abstand. Joe Matts gezeichnetes Leben ist ereignisarm, ja in der Wiederholung sogar ereignislos. Das Leben als Untermieter bei häßlichen Spießern, stundenlange Telefonanrufe, vergebliches Anbaggern von Frauen, Geldgeilheit von Comicsammlern, Pornos statt Verabredungen, Wichsphantasien, Jobs, Geldprobleme. Ein ziemlich falsches Leben und noch dazu selbst eingebrockt. Rousseau gab in seinen „Confessions“ noch an: „Dies ist das einzige Bild eines Menschen, genau nach der Natur und in seiner ganzen Wahrheit gemalt, das es gibt und wahrscheinlich je geben wird.“

Der Autobiograph als Heros. Der Wahrheitssucher, der das Leben in der Darstellung überhöht, auch wenn Rousseau nicht nur ein literarischer, sondern auch ein echter Exhibitionist war. Bei Joe Matt bleibt nur ein ertapptes Grinsen, bei Dummheiten oder Schweinereien erwischt worden zu sein. „Matt usually tries to attract sumpathy by being upfront to his callous assholishness“, meint deswegen Richard Gehr im Voice Literary Supplement feststellen zu können. Gehr übersieht allerdings, daß die ganze Geschichte inszeniert ist. Statt „Bekenntnisse“ heißt das Comic denn auch Peepshow. Nicht das wirkliche Leben, sondern der Spannerblick darauf wird dargestellt. Der Verlust des Videorecorders, mit dem er sich Pornos reinzog, ist ebenso wichtig wie die Trennung von der Freundin. Nicht Sex, sondern allerhöchstens Telefonsex: „That was the closest I've come to sex in a long time“.

Diese Differenz kennzeichnet den ganzen Comic: nah dran, aber nicht es selbst. Die umstandslose Identifikation mit dem Arschloch Joe Matt wird erschwert, indem der Autor Joe Matt der Figur Joe Matt keinen Erfolg vergönnt. Nichts für Narzisse. Selbst als ihn endlich eine Frau will, kriegt er keinen hoch.

Er muß sogar zusehen, wie sie mit einer Frau Sex hat, um ihn anzumachen. Was ihn im Porno heiß macht, erschreckt ihn hier. Geil kann er nur in der Vorstellung sein, wo er sich nicht beweisen muß. Wahrlich kein Happy-End, keine Metamorphose des Arschlochs in den modernen coolen Helden. Kein wahres Leben im Falschen.

Joe Matt: „Peepshow“. Drawn & Quarterly, 1992ff., 2,50 Dollar, bislang nur als Import erhältlich, deutsche Ausgabe geplant