■ Den Zapatisten fehlt ein Verhandlungspartner
: Mexikos Ruf ist ruiniert

Mexikos Regierung will wieder mit der Guerilla reden. Da hat Präsident Ernesto Zedillo ein paar Wochen lang die Armee in die chiapanekischen Dörfer gehetzt, hat die Menschen vertreiben und die Symbole des Aufstandes zerstören lassen – und jetzt will er wieder reden. Die Frage ist, auf wen sich die Zapatistas eigentlich einlassen sollen. Die mexikanische Oberschicht, namentlich die Regierungspartei PRI, ist zur Zeit tiefgreifend mit Prozessen der Selbstzerfleischung beschäftigt. Da ließ Zedillo zwar Haftbefehle gegen den Subcomandante Marcos und weitere FührerInnen der Guerilla ausstellen – tatsächlich verhaftet wurde jedoch nicht Marcos, sondern Raúl Salinas, der Bruder des Ex-Präsidenten. Und in den USA wurde der Bruder des ermordeten PRI-Generalsekretärs José Francisco Ruiz Massieu festgenommen, der offenbar dabei war, sich dauerhaft aus dem Staub zu machen. Er war unter Verdacht geraten, als Staatsanwalt den damalige Präsidenten Salinas gedeckt zu haben.

Immer offensichtlicher wird, daß die Regierungspartei neben den politischen auch über mafiose Strukturen verfügt. Zedillo hat mit seinem Vorgehen gegen Mitglieder der herrschenden Elite die Spielregeln durchbrochen. Gehetzt von Peso-Krise, Mordskandalen und eben auch dem zapatistischen Aufstand versucht der Präsident sich in einer Art Tabula-rasa-Strategie, die leicht ins Auge gehen kann.

Schon nach knapp 100 Tagen Amtszeit kämpft hier ein Präsident um seine politische Zukunft – und er muß das recht radikal tun. Mexiko steht vor einer politischen Gezeitenwende – und das viel weitgehender und vor allem ganz anders, als es die vielen Kommentatoren vor den Wahlen im August letzten Jahres unter dem Eindruck der von den Zapatistas provozierten Demokratisierungsdebatte prognostiziert hatten. Von Demokratisierung mag derzeit niemand reden – fassungslos betrachten viele MexikanerInnen, wie sich eine politische Klasse auflöst, die jahrzehntelang die Geschicke des Landes lenkte, und die im vergangenen Jahr den Sprung in die Moderne geschafft zu haben schien. Diese Auflösungsprozesse umzuwandeln in eine vorwärtsweisende Aufbruchstimmung – das müßte die Strategie des Präsidenten sein. Seine Chancen dazu sind gering. Zedillo kann nicht als Präsident Opposition spielen, und er kann sich trotz allen Mutes auch nicht aus den PRI-Strukturen lösen, auf die er selbst angewiesen ist.

Die ZapatistInnen geraten angesichts dieser Probleme in die Rolle der lästigen StatistInnen. Sie können kaum kämpfen wie eine echte Guerilla – dazu müßten sie beweglicher sein. Tausende von Menschen haben sich in den bis zur Armeeoffensive von den Zapatistas kontrollierten Gebieten unter ihre Obhut begeben – es ist der Führung der Guerilla hoch anzurechnen, sie alle einigermaßen sicher aus dem möglichen Schußfeld entfernt und nicht als Schutzschild einer militärischen Auseinandersetzung ins Spiel gebracht zu haben.

Gleichwohl hat die EZLN eine Niederlage erlitten. Und das Chaos, daß die Regierungsseite derzeit beherrscht, muß sich für die Zapatistas nicht unbedingt positiv auswirken: Vor einem Jahr noch hatte Mexiko, frisch der Nordamerikanischen Freihandelszone beigetreten, einen Ruf zu verlieren. Heute ist davon nichts mehr übrig. Bernd Pickert