Subtile diplomatische Sprache

■ Die Politiker freuen sich: Der Gipfel bringe die erste einheitliche Willenserklärung der Welt zu sozialen Fragen

Verlegenheit macht sich breit auf dem Weltsozialgipfel: In der Nacht zum Donnerstag wurde die Abschlußerklärung endgültig ausformuliert – und nun bleibt eine Menge Zeit, bis der große Wochenendauftrieb der Staatsmänner aus über hundert Ländern beginnt, die über das Dokument abstimmen werden.

Über die Entscheidungen des Gipfels läßt sich nicht mehr spekulieren, also streitet man sich über ihre Interpretation: Diplomaten gegen NGOs, Regierungen gegen Regierungen, Journalisten gegen den Rest der Welt. Alle wollen dem Gipfel ihren Stempel aufdrücken.

Die Interpretationsschwierigkeiten beginnen mit der subtilen diplomatischen Sprache. „Neue und zusätzliche Mittel“ werden da zum Beispiel versprochen. „Das heißt mehr Entwicklungshilfe“, sagen die Entwicklungsländer. Und die Industrienationen stellen sogleich klar, daß „Mittel“ aus „allen verfügbaren Quellen und Mechanismen“ kommen können, also auch aus der Geschäftswelt, aus NGO-Geldern oder sogar aus Finanzmitteln der Entwicklungsländer selbst. Die Erklärung selbst läßt sich lang und breit über „globale Verpflichtungen“ aus, aber wenig über deren konkrete Verwirklichung. Über die Ziele des Gipfels sind sich alle einig – der Armut, Arbeitslosigkeit und sozialen Desintegration soll eine Ende gesetzt werden. Dies seien Prioritäten für das nächste Jahrhundert.

Nur verspricht der Westen kaum neue Mittel, um diese Ziele erreichbar zu machen. Andererseits haben die Entwicklungsländer ihr Recht durchgesetzt, über die Ausgestaltung der Entwicklungsziele selbst zu entscheiden, ohne äußere – das heißt: westliche – Einmischung.

Diese journalistische Interpretation des Gipfels wird von Diplomaten allerdings zurückgewiesen. Richard Butler, Australiens UNO- Botschafter und Vorsitzender eines der Schlüsselkomitees auf diesem Gipfel, zur taz: „Dieser Gipfel – das ist, als ob sich die Leute öffentlich ausziehen. Vor zwei Jahren konnten wir uns noch nicht vorstellen, daß die Staaten, und zwar sowohl die entwickelten als auch die armen, zugeben, daß es bei ihnen massive Armut gibt, daß die Welt in ernsten Problemen steckt. Jetzt tun sie das. Es war nie Ziel des Gipfels, neue Mittel aufzubringen. Er war dazu da, neue Prioritäten zu setzen.“ Da stimmt Deutschland zu. „Wir haben den Gipfel nie als ein Entwicklungshilfetreffen gesehen“, sagt UNO- Botschafter Gerhard Henze.

Außerdem, fügt Butler hinzu, ist das Bestehen der Entwicklungsländer auf ihrer Souveränität „unvermeidlich“, denn internationale Vereinbarungen müssen auf nationaler Ebene verwirklicht werden. Das tue den Resultaten des Gipfels keinen Abbruch.

Vorrangig ist, sagt Butler, daß alle Staaten die Prioritäten der Ära nach dem Kalten Krieg anerkennen.

„Die Umsetzung wird schwierig“, räumt Butler ein. Zwar wird sie der Wirtschafts- und Sozialausschuß der UNO überwachen, aber der ist relativ schwach in seinen Kompetenzen. Vorschläge für Umsetzungspläne auf nationaler Ebene wurden mittlerweile wieder fallengelassen, hauptsächlich weil die Entwicklungsländer befürchteten, zukünftige Hilfen könnten dadurch an Bedingungen geknüpft werden. Die vielfach geforderte engere Zusammenarbeit zwischen der UNO und der Weltbank in sozialen Fragen wird ebenfalls nicht mehr erwähnt. Razali Ismail, Malaysias UN-Botschafter und ein weiterer wichtiger Verhandlungspartner im Hintergrund, äußerte sich der taz gegenüber „enttäuscht“.

Wesentlich radikaler als die Diplomaten äußern sich die internationalen NGOs zu den Ergebnissen des Gipfels. In der gestern veröffentlichten und angeblich von über tausend Gruppen unterzeichneten Alternativerklärung heißt es: „Zwar wurden Fortschritte in der Diskussion kritischer Punkte im Verhandlungsprozeß des Gipfels erzielt – allerdings glauben wir, daß der wirtschaftliche Rahmen, von dem das Dokument ausgeht, im Widerspruch mit den Zielen einer gerechten und dauerhaften Entwicklung steht.“

Zu stark werde da auf „ominöse Kräfte des freien Marktes“ gesetzt, sagen die NGOs: Die würden die globale soziale Krise eher verschärfen als lösen. Eine geteilte Verantwortung zwischen NGOs, die die Gerechtigkeit für alle Erdenbewohner suchten, und den Regierungen könne dagegen einen kreativen Prozeß in Gang bringen, der „zu einer wirklich funktionierenden Weltgemeinschaft führt“.

Aber nicht alle NGOs sind mit dieser Erklärung einverstanden. Sie wiederhole nur bekannte Standpunkte, sagt ein deutscher Repräsentant.

Das sagen auch manche Diplomaten über die offiziellen Erklärungen. Aber sie verweisen auch auf eine Erfahrung: Nicht selten wurden durch Gipfelerklärungen langfristige politische Kräfte frei. Hugh Williamson, Kopenhagen