Amazone der Wüste

Auf den Spuren von Isabelle Eberhardt. Die Tochter russischer Emigranten reiste durch den Maghreb und konvertierte zum Islam. Ihre unkonventionelle Lebensweise forderte religiöse Fanatiker heraus  ■ Von Bruno Hadjih

„Monsieur, sind Sie ein Pilger? Möchten Sie das Grab der roumi sehen?“

Ain Sifra ist eine Kleinstadt in Südalgerien, in den Vorbergen des Atlasgebirges nahe der marokkanischen Grenze. Kommt ein Ausländer in diese Stadt, dann nur zu dem Zweck, die Erinnerung an die „Amazone der Wüste“ zu ehren. Auf dem alten moslemischen Friedhof trägt ein einzeln stehender Grabstein die Inschrift:

„Mahmoud Saadi“ – Isabelle Eberhardt, Frau von Ehnni.

Isabelle Eberhardt, die Tochter eines russischen Emigranten, verließ ihre Familie, um in Südalgerien zu reisen, angezogen von der Schönheit des Landes und der orientalischen Lebensweise. Sie sprach fließend arabisch, trat zum Islam über und konnte sich in Männerkleidung einer nur Männern vorbehaltenen Bruderschaft des Sufismus anschließen, der Qadrya.

Noch achtzig Jahre später bewahrt ihr literarisches Vermächtnis seine Authentizität. Es ist bis heute die beste Einführung in die Zivilisation des Maghreb. Nur wenig hat sich hier geändert. Menschen und Land ähneln auf frappierende Weise ihrer Beschreibung.

Isabelle Eberhardt, die hier als „Mahmoud Saadi“ bekannt war, reiste sieben Jahre lang durch Algerien, Tunesien und Marokko, bevor sie sich in Algerien niederließ.

Ihre erste Einführung in die Welt des Orients erlebte sie in der Kasba (dem Markt) von Algier, „meiner stillen Kasba“, wie sie sagte. Wie ihre zeitgenössischen Freunde, die Arabisten Delacroix und Fromentin, liebte sie die Kasba, wo sie dem „arabischen Bürger“ begegnen konnte.

Sie schrieb mehrere Romane, in denen sie sich inspirieren ließ von den Legenden um Fn'Fissa, eine Prinzessin, die gegen den Willen ihres Vaters ihren Geliebten heiratete, oder auch vom Parfüm-Markt von Attarine.

Tief geprägt von den Talibs der Moschee von Sidi Abderahman, beschloß sie zum Islam überzutreten. „...täglich bei Sonnenuntergang, in meinen Männerkleidern, saß ich im Eingang der Zaouia Sidi Abderahman. Auf diese Weise konnte ich die heilige Zaouia (Moschee) zur Gebetszeit betreten und den herrlichen Worten des Imam lauschen, die ich bald verstehen und lieben lernte“.

Isabelle zog weiter nach Bou Saada, einer Stadt am Rande der Sahara: „Eine rehfarbene Königin, in ihre dunklen Gärten gekleidet, von purpurnen Hügeln geschützt, schläft sie wollüstig am Ufer des oued (Flusses), wo das Wasser über die weißen und rosa Steine rieselt“, so ihre Beschreibung der Stadt.

Bou Saada, die erste Oase auf dem Weg in den Süden, ist auch heute noch unverändert. In der nahe gelegenen Zaouia von al- Hamil wurde Isabelle Eberhardt in den Islam eingeführt. Das Weiß der Zaouia kontrastiert stark mit der Dunkelheit des Babor-Gebirges. Es ist ein wahrhaft magischer Ort, noch immer beherrscht von der religiösen Bruderschaft der Rahmaniya. Bis heute halten die Studenten, stolz auf Isabelles Vermächtnis an die Zaouia, mit abendlichen Vorlesungen die Erinnerung an sie am Leben.

Auf dem Marktplatz spielt ein „djin“, ein schwachsinniger Flötenspieler, eine Melodie, wie sie Isabelle in ihren Romanen beschrieb. Ein eigenartiger Anblick, als der Mann blicklos in die Menge starrt und verschwindet, nur den Ton seiner Flöte hinter sich zurücklassend. Ein Dialog zwischen Steinen und Geist. In jedem November versammeln sich die Adepten der Rahmaniya-Bruderschaft in dieser Stadt, um ihre Marabuts (Meister) zu ehren.

Westlich von Bou Saada liegt die Aures, eine ausgedehnte Felswüste in Richtung Tunesien. Diese Landschaft erinnert an den Mond. Eine Stimme aus dem Nichts summt in diesem weiten verlassenen Gebiet das Lied der Sahara. Ist es der Geist Yasminas, einer der Heldinnen Isabelles?

Auf dem Weg nach Timjad, einer römisch-antiken Stadt, im Jahre 100 vor Christus von Trajan gegründet, führt eine Hirtin ihre Ziegen zurück ins Dorf. Nichts hat sich geändert. Alles ist noch genauso wie in der Vergangenheit. Ein Engel schwebt durch die Wüste!

Weit entfernt wirken die zitternden Lichter von Batna, der Hauptstadt der Aures, als trage jedes Fünkchen, jeder verlorene Lichtstrahl zu der stillen Erinnerung an eine Zeit bei, die sogar im Gedächtnis ihrer Menschen verloren ist.

Der Weg nach Süden führte Isabelle Eberhardt nach al-Oued, das sie „die Stadt der tausend Kuppeln“ nannte. Hier wurde sie zum ersten Mal mit dem Wüstenleben bekannt.

1900, durch besondere Gunst in die Bruderschaft von Qadrya aufgenommen, wurde sie chouan (Bruder) dieses sufistischen Mystizismus. Wieder verbrachte sie viel Zeit in den Zaouias, die für ihre religiösen Lehren berühmt waren.

In Behima entkam Isabelle auf wunderbare Weise unverletzt dem Anschlag einer extremistischen Gruppe, die sie der Spionage beschuldigte. Hier kam sie zu der Überzeugung, Allah habe sie zu dem Leben eines Marabut bestimmt.

Abdelkrim, ein 73jähriger Mann, Neffe des Attentäters, erzählt die Geschichte:

„Mein Onkel war ein kranker Mann; er versuchte diese Frau zu töten, die als Mann verkleidet war, weil sie gegen die religiöse Ordnung verstieß. Er warf einen Säbel nach ihr, aber von der Decke des Raumes hing ein Seil, das den Flug des Säbels aufhielt und das Leben der roumi rettete. Mein Onkel wurde von einem Militärgericht in Constantine zu lebenslänglicher Haft verurteilt.“

In Behima ist das Haus des „kranken Mannes“ für Besucher geöffnet.

Aus dem Englischen von Meinhard Büning