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Beutekunst andersrum

■ Soll die Kieler Sammlung ins polnische Szczecin zurückkehren?

Den Schwarzen Peter, darin sind sich in Deutschland alle Beteiligten einig, haben zur Zeit die Russen – und besonders die Direktorin des Moskauer Puschkin-Museums, Irina Antonowa, die allgemein „Irina, die Bärin“ genannt wird. Die resolute 72jährige nämlich ist eine scharfe Verfechterin jenes neuerdings auch wieder offensiv vorgetragenen Kurses, nach dem die aus deutschen Privatsammlungen bei Kriegsende nach Rußland verschleppten Meisterwerke von Renoir, Degas, van Gogh und Daumier sich rechtmäßig als Ersatz für erlittene Kriegsschäden in russischem Eigentum befinden. Die von deutscher Seite geforderte und auch bereits im Vertrag über gute Nachbarschaft im Grundsatz vereinbarte Rückgabe der fast 50 Jahre lang gänzlich verleugneten Werke soll deshalb in Kürze ein russisches Gesetz für alle Zeiten verhindern. Erst müsse Deutschland Wiedergutmachung leisten, so die alte und neue russische Position. Bonn hält dagegen, es gebe nichts mehr zurückzugeben. Vielleicht doch, und zwar auf dem Rantzaubau des Kieler Schlosses. Dort hat seit bald 30 Jahren die „Stiftung Pommern“ ihren Sitz, ein eigenwilliges Rechtskonstrukt mit beachtlicher Kunstsammlung. 1966 vom dortigen Landtag als Stiftung des Landes Schleswig-Holstein gegründet, bewahrt sie im Auftrag der Berliner Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz (SMPK) die Gemäldegalerie des Stadtmuseums von Szczecin auf. Unmittelbar vor Kriegsende war dessen beachtliche Sammlung unter der Leitung des Szczeciner Stadtbibliothekars Dr. Wilhelm Eggebrecht auf die Feste Coburg gebracht worden, 1971 zog sie an die Kieler Föhrde um.

Knarrende Treppen führen in die Ausstellungsräume hinauf, in denen veraltete Klimageräte vor sich hin blubbern. Nur einzelne Gemälde sind mit einer eigenen Alarmsicherung ausgestattet. Vincent van Goghs „Allee bei Arles“ etwa: Das 1888 entstandene Werk war zuletzt bei den großen Retrospektiven in Arles und Essen zu sehen. Oder das „Brustbild eines vornehmen Herren“, das der Niederländer Frans Hals um 1646/47 schuf, und Caspar David Friedrichs „Neubrandenburg im Morgennebel“ von 1816/17. Die Stiftung Pommern beherbergt Werke von Dérain, Daubigny und Utrillo, Selbstbildnisse von Feuerbach und Slevogt, Genreszenen von Menzel und Leibl. Rund 300 Seiten umfaßt der Bestandskatalog.

Zusammengetragen hatten die Meisterwerke die Bürgerinnen und Bürger der damals deutschen und heute polnischen Stadt Szczecin. 1913 wurde auf der dortigen Hafenterrasse das Stadtmuseum eröffnet, dessen Sammlung bis zum Bildersturm der Nationalsozialisten stetig wuchs. Daß das Szczeciner Museum bei der „Entartete Kunst“-Aktion 1937 zu den am stärksten geplünderten Kunsthäusern des Deutschen Reichs gehörte, legt Zeugnis von der Qualität seines Bestandes ab. Die verbleibenden Reste mochte man 1945 nicht den heranrückenden russischen Truppen überlassen. So kam es zur Evakuierung und zur treuhänderischen Verwaltung durch die SMPK nach dem „Rechtsträgerabwicklungsgesetz“. Später wurde sie an die Kieler Stiftung weiterdelegiert. Völkerrechtlich hat sich seither nichts geändert. Noch immer bewahrt man kuriosererweise, so die Berliner Akten, die Sammlung „für die deutsche Stadt Stettin“ auf. Die aber existiert längst nicht mehr.

In Kiel allerdings wird die Gemäldesammlung voraussichtlich nicht mehr lange bleiben. Obwohl die Kulturhoheit bei den Ländern liegt, gibt es nämlich Pläne des Bundeskanzleramts und des Bonner Innenministeriums, nach denen jede der nach der Vereinigung zur Bundesrepublik gekommenen östlichen Regionen ein eigenes Landesmuseum bekommen sollen – so auch das CDU-regierte Mecklenburg-Vorpommern. Dort bewarb sich auf Initiative der selbst über eine Kunstsammlung verfügenden Ernst-Moritz-Arndt-Universität die Hansestadt Greifswald als Standort. Gemeinsam mit der Vertriebenenabteilung im Bonner Innenministerium, dem Schweriner Kultusministerium, der Pommerschen Landsmannschaft und der Stiftung Pommern wurde ein Konzept erarbeitet, das schließlich die Greifswalder Bürgerschaft auch verabschiedete. „Mit dem Pommerschen Landesmuseum“, heißt es darin reichlich vage, „werden hier in Vorpommern die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Pommersche Geschichte und Kultur für viele Menschen wieder faßbar und erfahrbar wird. Die Kenntnis der eigenen Geschichte wird den Menschen dieser Region eine Hilfe zur Findung und Festigung der eigenen Identität und ein wichtiger Halt bei der Meisterung ihrer Zukunft sein.“

Ob dafür die Pommersche Landsmannschaft der einzig geeignete Berater ist, läßt das Papier offen, dafür grüßen Helmut Kohls „blühende Landschaften“. Als „Brücke zu den Ostsee-Anrainerstaaten“ soll das Landesmuseum außerdem fungieren. Verschiedene Kunst- und Kulturwissenschaftler haben das Konzept bereits als „revisionistisch“ abgelehnt und sich von einer Mitarbeit distanziert. Kostenpunkt für das identitätsstiftende Kulturvorhaben: 28 Millionen Mark für die Einrichtung im Guardianshaus, im Quistorp-Bau und im Grauen Kloster zuzüglich 350.000 Mark Unterhaltungskosten.

Eher skeptisch steht dem Vorhaben auch Ewa Labno-Falecka, Kulturattaché der polnischen Botschaft, gegenüber. Die polnische Seite ist nicht glücklich über die Grundkonzeption für das neue Museum, an der die Vertriebenenorganisationen stark beteiligt sind: „Ich kann diese Brückenmetapher nicht mehr hören. Wir haben viele Brücken, aber sie sind leer. Wichtig wäre jetzt nicht, noch neue zu bauen, sondern auf den bestehenden aufeinander zuzugehen.“ Über die Zukunft der ehemals Szczeciner Gemäldesammlung gibt es auf polnischer Seite eigene Vorstellungen, so Ewa Labno-Falecka: „Für uns ist diese Frage natürlich nur ein Teil eines viel größeren Problems: Wo ist der Platz für Kunstwerke und Sammlungen, die durch den Krieg verlagert oder verschleppt wurden. Dabei setzt sich langsam der territoriale Grundsatz durch: Kunstwerke sollten an der Stelle bleiben, an der sie entstanden sind oder gesammelt wurden. Damit wollen wir nicht leugnen, daß es sich um deutsche Kulturgüter handelt, die im damaligen Deutschland gesammelt wurden. Daß aber Szczecin in den entsprechenden Akten immer noch als deutsche Stadt gehandelt wird, kann nur ein Betriebsunfall der Geschichtsschreibung sein. Niemand will ja die Grenzen verschieben. Man sollte jetzt Vertrauen zu Polen haben und sich sagen: In Szczecin würden diese Kunstwerke ebenso gut wie in Deutschland gehütet, und sie wären auch dort öffentlich zugänglich. Sollten wir uns also dafür aussprechen, die Sammlung zurückzuführen, dann bedeutet das nicht, daß wir die Geschichte manipulieren wollten. Damals war Szczecin deutsch, heute ist es polnisch.“

Die deutsch-polnische Regierungskommission für Kulturgüter, die bereits mehrfach getagt hat, soll nun auch über diese Frage beraten. „Wir haben gerade erst begonnen, unsere Verluste zu katalogisieren“, sagt Ewa Labno-Falecka. „Denn vor allem in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 sind die meisten Sammlungsverzeichnisse in Polen systematisch zerstört worden. Schon jetzt zeichnet sich aber ab, daß es die von deutscher Seite behauptete Asymmetrie nicht gibt: Auch Deutschland hätte noch einiges zurückzugeben.“

„Wem sollte man diese Werke denn überhaupt zurückgeben“, fragt dagegen Helga Wetzel von der Stiftung Pommern. „Die Sammlung ist ja damals von Stettiner Bürgern zusammengetragen worden, und die waren Deutsche. Mit der jetzt in Rußland wieder auftauchenden ,Beutekunst‘ kann man das ja nicht vergleichen. Das ist etwas anderes.“ Stefan Koldehoff

Stiftung Pommern. Schloß Rantzaubau, Dänische Straße 44 in Kiel. Öffnungszeiten: Di. bis Fr., 10 bis 17 Uhr; Sa./So. 14 bis 18 Uhr.

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