Die große Baseball-Fantasy

Der fortdauernde Arbeitskampf im US-Baseball sorgt dafür, daß die nächste Saison vermutlich von Glücksrittern und Altstars begonnen wird  ■ Von Thomas Winkler

Berlin (taz) – Am 2. April beginnt die Saison im amerikanischen Baseball – so oder so. Zu Beginn der Woche endete der „letzte Versuch“ von Verhandlungen zwischen den Besitzern und der Spielergewerkschaft damit, daß die Fronten sich noch mehr verhärteten. „Diese Angelegenheit ist ziemlich beschämend“, schimpfte der von Präsident Bill Clinton eingesetzte Vermittler W.J. Usery, „und sie ist lächerlich.“

In einer einstündigen Ansprache redete Usery den versammelten Clubbesitzern ins Gewissen und forderte sie auf, nächste Woche ihr „bestes Angebot“ zu machen, um den siebenmonatigen Streik doch noch so rechtzeitig zu beenden, daß die komplette Saison gerettet werden kann. Es sei Sache der Besitzer, den nächsten Schritt zu tun, da sie schließlich diejenigen seien, die die größten Änderungen vornehmen wollen. Doch die Besitzer sind stur, und alles läuft darauf hinaus, daß die Clubs mit Ersatzspielern an den Start gehen werden. Die Qualität der Spieler wird allerdings bestenfalls drittklassig sein, da sind sich selbst die General Manager der Teams einig.

Der Grund ist einfach: Spieler, die bisher dort unter Vertrag sind, wo der zweitbeste Baseball gespielt wird, bei den Farm-Teams der großen Clubs, werden es nicht riskieren, als Streikbrecher auf der schwarzen Liste der Gewerkschaft zu landen. Denn sollte es zu einer Einigung kommen – und irgendwann wird das sicherlich der Fall sein –, würde die Gewerkschaft dafür sorgen, daß ihre Karriere in der Spitzenliga so schnell beendet wird, wie sie begonnen hatte. Dies gilt auch für das berühmteste Streikopfer, Michael Jordan (siehe Foto), der tatsächlich drauf und dran schien, den Sprung ins Team der Chicago White Sox zu schaffen, nun aber offenbar lieber zum Basketball zurückkehrt, als den Baseball-Kollegen in den Rücken zu fallen.

Um ihre Kader voll zu bekommen, blieb den Clubs also nichts übrig, als sogenannte „Fantasy Camps“ zu veranstalten, an denen jeder teilnehmen konnte, der meinte, reif für eine Karriere als Baseball-Profi zu sein. Die 1.300 Möchtegern-Profis, die zu einem solchen Camp der California Angels kamen, waren keine Ausnahme. Ganze neun Spieler nahmen die Angels unter Vertrag. „Wir haben keine Probleme mit der Quantität“, stöhnte Ed Lynch, Manager der Chicago Cubs, „eher mit der Qualität. Mich rufen 50jährige an, die bei uns spielen wollen.“

Der Großteil derer, die in diesen Camps ihr Glück versuchten, waren Ex-Profis, die seit teilweise 15 Jahren keinen Ball mehr geschlagen hatten und inzwischen in Geldschwierigkeiten stecken oder Spieler, die sich nach dem College nicht durchgesetzt haben. Nicht wenige waren auch einfach völlig Verrückte, bei denen der gesunde Menschenverstand aussetzte. Im Camp der Pittsburgh Pirates tauchten zwei Ärzte auf, die ihre Praxis geschlossen hätten, wären sie engagiert worden.

Der 37jährige Jimmy Ashcraft bewarb sich als Werfer bei den Cincinnati Reds. Ashcraft ist Großvater und fährt hauptberuflich den Mannschaftsbus der Reds: „Ein paar von den Jungs aus dem Team haben mir im letzten Jahr Tips gegeben, also dachte ich, ich probier' es mal. Täte ich es nicht, würde ich es bis an mein Lebensende bedauern.“ Ashcrafts Würfe wurden mit ungefähr 65 Stundenkilometer gemessen. Spitzenpitcher werfen bis zu 160. „Wenigstens habe ich keinen Ball über den Zaun geworfen“, zeigte sich Ashcraft nicht allzu enttäuscht.

Aber auch ohne Ashcraft steht den Zuschauern eine lustige Saison bevor. Und für den Fan-Nachwuchs wird sich wohl die einmalige Gelegenheit bieten, Helden aus längst vergangenen Tagen wieder live zu erleben – wenn auch etwas ergraut und fülliger. So haben die Detroit Tigers Willie Hernández reaktiviert, einen der besten Pitcher der 80er Jahre und 1984 World-Series-Gewinner mit den Tigers. Hernández ist vor sechs Jahren zurückgetreten und inzwischen 40 Jahre alt.